S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Themenschwerpunkt der letzten Ausgabe von Al-Fadschr war der religiöse Status der Frau. In diesem Kontext haben wir einige Kurzinterviews u. a. mit der evangelischen Landesbischöfin von Hannover, Frau Dr. Margot Käßmann veröffentlicht, in der etliche Fragen im Hinblick auf die religiöse Stellung der Frau im Islam aufgeworfen wurden. Aufgrund der Wichtigkeit dieses Themas, das auf gesellschaftlicher Ebene und auch in interreligiösen Gesprächen immer wieder polemisiert wird, wird der Leiter des Islamischen Zentrums, Ayatollah S. A. Hosseini Ghaemma-ghami diese Fragen wissenschaftlich fundiert und detailliert erörtern. Zur Einführung in diese Diskussion führt er nachfolgend einige grundsätzliche Überlegungen aus, die im Hinblick auf ein adäquates Verständnis von den Versen des Heiligen Qur’an unerlässlich sind. Die einzelnen Fragen werden in den nachfolgenden Ausgaben von al-Fadschr ausführlich erörtert werden.
Bevor ich die Fragen beantworte sehe ich es als notwendig an, einen wichtigen Punkt über das Verständnis der Bedeutung des Qur’an und die Methodologie der Interpretation der Verse zu erwähnen.
Der Qur’an wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, aber man muss bedenken, dass die Übersetzung des Qur’an eine Arbeit ist, die einzig und allein von Fachleuten durchgeführt werden kann und einer bestimmten Methodologie im Hinblick auf die Kenntnis und Interpretation bedarf. Wenn man es deutlicher ausdrücken will, muss man feststellen, dass abgesehen von den Versen, die z. B. bestimmte Grundsätze der Scharia (des islamischen Rechts) oder im Bereich der Moral (d. h. nicht jene Versen, die die Grundprinzipien der Moral und religiösen Gebote betreffen) erörtern, eine Übersetzung des Qur’an - gemäß dem gängigen Verständnis von Übersetzung - grundsätzlich als unmöglich anzusehen ist. Unter Übersetzung allgemein ist zu verstehen, dass man in Bezug auf die Grammatik, Begriffe und Ausdrücke, eine Schrift von der ursprünglichen Sprache in eine andere Sprache überträgt. Das Ziel einer Übersetzung besteht darin, das Wissen von der Botschaft und der Hauptabsicht des Textes denjenigen, die mit dieser ursprünglichen Sprache nicht vertraut sind, zugänglich zu machen, d. h. mittels Übersetzung soll der Kreis derjenigen, die angesprochen werden, erweitert werden. Übersetzungen sollen also dazu beitragen, die Absicht des Verfassers anderen, die mit seiner Sprache und Literatur nicht vertraut sind, verständlich zu machen. Mit der Übersetzung ist also die Erwartung verknüpft, genau das Verständnis, das Muttersprachler von einem Text haben, auch jenen Lesern zu vermitteln, die mittels einer Übersetzung angesprochen werden. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob das im Hinblick auf den Qur’an überhaupt möglich ist.
Die Antwort, die der Qur’an selbst gibt, ist negativ: Nein! Es ist richtig, dass die Sprache des Qur’an arabisch ist, aber es besteht kein Zweifel, dass heutzutage jeder Araber, der die arabische Literatur und Grammatik versteht und Kenntnis darüber hat, nicht behaupten kann, über die vollkommene Fähigkeit zu verfügen, ein sicheres Verständnis von allen Versen des Qur’an zu haben. Wie jedoch zuvor bereits festgestellt wurde, ist hinsichtlich mancher Verse, die die grundsätzlichen Gebote und Vorschriften wie z. B. über das Gebet oder das Fasten erörtern, oder Versen, die die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Gesellschaft und Öffentlichkeit beschreiben, das Verständnis bei einem arabischsprachigen Menschen oder denjenigen, die mit der arabischen Sprache vertraut sind, vorhanden. Aber die Verse, die bestimmte Dinge in ihren Einzelheiten und detailliert beschreiben und erörtern, sind niemals jedem arabischsprachigen Menschen verständlich. Das ist ein Punkt, den nicht nur der Prophet des Islam (s.a.s.) und die religiösen Persönlichkeiten erörtert haben, sondern den der Qur’an selbst mit aller Deutlichkeit feststellt und betont. Möglicherweise ist der Qur’an das einzige heilige Buch, das mit aller Deutlichkeit die Leugnung und die Möglichkeit des Missbrauchs durch unwahre und falsche Interpretation der Verse selbst erwähnt; desgleichen wurde im Qur’an oftmals erwähnt, dass es Menschen gibt, die sich nur auf manche Verse stützen und andere Verse außer Acht lassen: Er ist der Gott, der dir den Qur’an herabgesandt hat. Manche Verse vom Qur’an sind deutlich und klar, und diese Verse sind die Hauptprinzipien des Qur’an (d. h. mittels dieser Verse interpretiert man die anderen Verse). Und ein Teil von den Versen des Qur’an sind verschieden zu deuten (sie haben eine Form, die unterschiedlich interpretiert werden kann). Diejenigen, die ein krankes Herz haben und keine gottesfürchtigen Menschen sind, gebrauchen diese mehrdeutigen Verse (d. h. die Verse, die zur zweiten Gruppe gehören) um dadurch Unruhe zu stiften, und sie versuchen, in diese Verse etwas hineinzuinterpretieren. (vgl. Sure Àl-ImrÁn, Vers 7).
Es wird auch erwähnt, dass es Menschen gibt, die sich nur auf bestimmte Verse beziehen, nur diese Verse erwähnen und die anderen Verse ignorieren. In den Lehren der großen religiösen Persönlichkeiten wird diese Gefahr des falschen Verständnisses vom Qur’an als „Tafsir be ra’y“ (d. h. die individuelle und persönliche Interpretation) bezeichnet. Aus diesem Grunde wurde anfänglich darauf hingewiesen, dass eine Übersetzung von allen Versen des Heiligen Qur’an im Sinne des üblichen Verständnisses von Übersetzung normalerweise unmöglich ist. Aus diesem Grund haben viele islamische Theologen in den ersten Jahrhunderten nach dem Erscheinen des Islam die Übersetzung des Qur’an in andere Sprachen für verboten erklärt. Wenn eine solche Meinung oder Sichtweise möglicherweise ein wenig extrem erscheint, so ist sie dennoch ein Zeichen dafür, dass man daran glaubte, dass der Qur’an nicht übersetzt werden kann; denn wenn die arabischsprachigen Menschen, die eine gemeinsame Sprache mit dem Qur’an haben, nicht sicher sein können, ein sicheres Verständnis von allen Versen des Qur’an erlangen zu können, wie kann dann von einer Übersetzung erwartet werden, dass durch die Übertragung denjenigen, die eine andere Sprache sprechen, ein richtiges und gesichertes Verständnis vermittelt werden kann? Es ist ebenfalls hinlänglich bekannt, dass im Hinblick auf Übersetzung allgemein diese grundsätzliche Meinung vertreten wird, dass auch bei anderen gewöhnlichen Texten und Büchern die Absicht und Botschaft der Autoren mittels Übersetzung nicht vollkommen übertragen und vermittelt werden kann. Deswegen gilt es als empfehlenswert, die Werke im Original zu lesen.
Übersetzungen bringen bestimmte qur’anische Begriffe und Ausdrücke und die mit dem Gotteswort verbundene Atmosphäre ein wenig näher und nicht mehr. Um zu einem akzeptablen Urteil und zu einem gesicherten Ergebnis über das Gotteswort und die Botschaft dieses Buches für die Menschen zu kommen, brauchen wir etwas, was über eine Übersetzung vom Qur’an hinausgeht.
Was jedoch den Qur’an anbelangt, so wiegen die erwähnten Argumente viel schwerer und eine Übersetzung ist unvergleichlich schwieriger und komplizierter, und manche Qur’an-verse können überhaupt nicht in eine alltägliche Sprache übersetzt werden, sondern man kann sie nur interpretieren und erklären. Das soll aber nicht so verstanden werden, dass der Qur’an niemals in eine andere Sprache übersetzt werden soll, sondern man will damit sagen, dass man mit den vorhandenen Übersetzungen vom Qur’an nicht die Erwartung verbinden soll, dass sie die Hauptbotschaft des Qur’an und der qur’ani-schen Begriffe wiedergeben. Vielmehr bringen diese Übersetzungen bestimmte qur’anische Begriffe und Ausdrücke und die mit dem Gotteswort verbundene Atmosphäre ein wenig näher und nicht mehr.
Um zu einem akzeptablen Urteil und zu einem gesicherten Ergebnis über das Gotteswort und die Botschaft dieses Buches für die Menschen zu kommen, brauchen wir etwas, was über eine Übersetzung vom Qur’an hinausgeht. Im Christentum gibt es den Vorteil, dass unterschiedliche Übersetzungen von der Heiligen Schrift verhindert wurden und den Christen letztlich die von den Kirchenverantwortlichen bestätigte und offizielle Übersetzung der Bibel zur Verfügung gestellt wurde. Aber unter den Muslimen ist das nicht der Fall. Das Hauptargument bezieht sich also auf das zuvor Erwähnte, d. h. die Notwendigkeit, die Verse des Qur’an zu interpretieren und zu erklären. Selbstverständlich setzt die Interpretation des Qur’an und der qur’ani-schen Themen eine spezielle Fachkenntnis und besondere Fähigkeiten voraus, und so haben nur wenige islamische Theologen diese Fähigkeit und Berechtigung. Diese Berechtigung und Fachkenntnis im Zusammenhang mit der Interpretation des Qur’ans wurde in der Vergangenheit bereits erörtert, und der wichtige Aspekt, der hier erwähnt werden soll, ist der, dass die Interpretation des Qur’an genau gesagt eine Angelegenheit des Ijtihad ist.
Was ist Igtihad?
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, den Begriff des Ijtihad und seine Funktion ein wenig mehr auszuführen und zu erklären. Die wichtigste Besonderheit des Islam liegt darin, dass er die göttliche Offenbarung enthält, die die direkte Botschaft von Gott ist, an der kein menschliches Element beteiligt ist. Die Verneinung des menschlichen Elementes bei der Offenbarung beschreibt diesen wichtigen Punkt, dass die göttliche Offenbarung konstante Botschaften beinhaltet (d. h. sie beinhaltet klar bestimmte Botschaften), die keine Veränderung und Wandlung erfahren, weil Gott und was mit Ihm im Zusammenhang steht, absolut ist – im Unterschied zu menschlichen Dingen und Themen, die sich im Laufe der Zeit unter verschiedenen Einflüssen verändern. Aber das ist nicht das ganze Wort, sondern es ist richtig, dass die göttliche Offenbarung das Wort Gottes ist, mit dem jedoch der Mensch angesprochen wird, ein Mensch, der veränderliche und wandelbare Bedürfnisse hat und selbst auch veränderlich ist. Da das Hauptziel der göttlichen Offenbarung die Leitung des Menschen und letztlich die Bewahrung seiner Glückseligkeit ist, kann die veränderliche Dimension des Menschen nicht ignoriert werden.
Viele islamisch-qur’anischen Botschaften und Lehren, deren Hauptziel die Vermittlung von Antworten auf die konstanten menschlichen Dimensionen ist, wurden mit der kulturellen und gesellschaftlichen Dimension der ursprünglich vom Qur’an angesprochenen Muslime vermischt.
Der Mensch hat konstante und veränderliche Dimensionen. Man kann nicht sagen, dass alle persönlichen Elemente des Menschen veränderlich und wandelbar sind, so dass wir behaupten könnten, der heutige Mensch unterscheide sich gänzlich vom gestrigen Menschen. Man kann auch nicht alle persönlichen Elemente des Menschen als konstant und absolut ansehen, denn die Unterschiede zwischen den Menschen in verschiedenen Generationen und Epochen und zwischen den Menschen unterschiedlicher Rassen, Kulturen und Nationalitäten sind eine Tatsache, die man nicht leugnen kann. Aber genau diese Menschen haben auch viele Gemeinsamkeiten, die in der menschlichen Substanz und im menschlichen Wesen liegen, einer Substanz und einem Wesen, die im Laufe der menschlichen Geschichte unverändert geblieben sind.
Das Interesse an Gerechtigkeit, Frieden, Ruhe, Liebe, Vervollkommnung und das Streben nach höheren Stufen der Entwicklung oder das Interesse an mehr Wissen sind einige gemeinsame Interessen aller Menschen, so dass wir im Laufe der Geschichte keinen Menschen finden können, der derartige Aspekte überhaupt nicht kennt, einen natürlichen Zustand vorausgesetzt. Deshalb stellt die göttliche Offenbarung eine absolute und konstante Substanz dar, weil sie die veränderliche Dimension des von der Offenbarung angesprochenen Menschen berücksichtigt hat. Der Mensch, der vor 1500 Jahren in einer arabischen Gesellschaft gelebt hat und ursprünglich vom Qur’an angesprochen wurde, gleicht in seiner Menschlichkeit, seinen Vorlieben und Interessen, die auf seinem menschlichen Wesen und seiner menschlichen Substanz basieren, dem heutigen Menschen und hat Gemeinsamkeiten mit ihm, wenngleich er hinsichtlich vieler kultureller, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und psychischer Bedürfnisse grundsätzliche Unterschiede aufweist.
Viele islamisch-qur’anischen Botschaften und Lehren, deren Hauptziel die Vermittlung von Antworten auf die konstanten menschlichen Dimensionen ist, wurden mit der kulturellen und gesellschaftlichen Dimension der ursprünglich vom Qur’an angesprochenen Muslime vermischt. Wenn wir von der geschichtlichen Fortsetzung des Islam und der qur’anischen Lehre für alle Menschen in allen Zeiten und Gesellschaften sprechen, dann bezieht sich diese Fortsetzung selbstverständlich auf den ersten Teil und niemals auf den zweiten Teil, der sich auf die veränderlichen Dimensionen und die Veränderbarkeit des Menschen bezieht. Deshalb müssen die maßgeblichen Botschaften und Lehren des Qur’an, die konstant sind, von anderen historischen und mittlerweile überholten Dimensionen gelöst und analysiert werden. Wie? Mittels IºtihÁd! IºtihÁd ist nicht nur ein religiös-rechtliches Thema oder ein Rechtsinstrument für die Kenntnis des Äußeren der Scharia und die in Qur’an und Sunna gegebene Interpretation, sondern Iºtihad ist ein erschaffenes Element, das dem Muºta-hid (d. h. derjenige, der den IºtihÁd praktiziert) die Fähigkeit verleiht, zwischen konstanten und veränderlichen Elementen der Religion zu unterscheiden und die unveränderliche und ewige Botschaft des Qur’an entsprechend den kulturellen und sozialen Gegebenheiten aufzubauen und zu erneuern.
Igtihad ist die Etablierung von Dialog, Verständnis und Umgang zwischen der göttlichen absoluten Wahrheit und der Logik der Veränderbarkeit des Menschen.
Anders gesagt: IºtihÁd ist die Etablierung von Dialog, Verständnis und Umgang zwischen der göttlichen absoluten Wahrheit und der Logik der Veränderbarkeit des Menschen. Damit werden auch die reinen islamischen Lehren und die konstanten menschlichen Botschaften des Qur’an von den kulturellen ethnischen und speziellen historischen Elemente unterschieden und gereinigt. Der exakte Begriff von der „Universalität des Islam“ ist genau das, was als Ergebnis von IºtihÁd zustande kommt. D. h. der Islam beinhaltet in seiner Substanz Elementen, die ihn von diesen kulturellen, historischen, ethnischen, nationalen und gesellschaftlichen Begrenztheiten befreien, und er weist diese Flexibilität und Kapazität auf, seine Botschaft für alle Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und Nationalitäten wieder aufzubauen und wieder verstehbar zu machen. Universalität des Islam bedeutet niemals „Islamisierung“ und allen Menschen in allen Gesellschaften und Kulturen den Islam aufzwingen zu wollen. Solche Interpretationen vom universalen Islam sind ungerechte und persönliche, individuelle Interpretationen.
Ein wichtiger Punkt hierbei ist: Obwohl Ijtihad ein menschliches Engagement darstellt, d. h. der Mujtahid als ein Mensch, der ein seinen zeitlichen Bedürfnissen entsprechendes akzeptables Bewusstsein von der kulturellen und gesellschaftlichen Veränderbarkeit der verschiedenen Gesellschaften hat, versucht, mittels Kenntnis und Verstehen der religiösen Gebote die religiösen Lehren voranzubringen. Aber die Kenntnis von der Methodologie des Ijtihads ist nicht vollkommen menschlich, sondern die Methoden und die Art und Weise des Ijtihads beziehen sich direkt oder indirekt auf die Rede der „Offenbarung“. In Wirklichkeit hat Gott dem Propheten Mohammad (s.a.s.) eine Offenbarung offenbart und auch die Anleitung für die Anwendung dieser Offenbarung bestimmt. Die Legitimation zum IºtihÁd ist genau im Rahmen dieser Anleitung anzuwenden und zu verstehen. Deshalb hat Ijtihad zwei besondere Merkmale: Erstens bezieht sich die Methode von Ijtihad auf Qur’an und Sunna, und zweitens beinhaltet der IºtihÁd nicht die Hauptprinzipien der Maßstäbe, die die Grundstruktur des Qur’an bilden. D. h. Ijtihad kann die Botschaften des Islam, die eine unveränderliche Substanz und Essenz haben, nicht verändern, sondern jedes geistige Ijtihad-Engagement muss im Rahmen und mit Berücksichtigung dieser konstanten und grundlegenden Standardmaßstäbe und Prinzipien stattfinden. Folglich ist die erste Bedingung, die einen Muºtahid zum Ijtihad legitimiert, die Kenntnis von diesen standardisierten Hauptprinzipien und die Kenntnis von der Methode der Forschung und des IºtihÁds. Obwohl der Prozess des Ijtihad konstante Standardprinzipien hat, sind die Ergebnisse des IºtihÁds der Theologen nicht immer gleich, und zuweilen weisen sie große Unterschiede auf. Deshalb kann das Verstehen und das Ergebnis des Ijtihad im Hinblick auf den Qur’an und die islamischen Lehren sehr unterschiedlich sein. Was sie jedoch alle gemeinsam haben müssen, weil ansonsten weder Legitimation noch Richtigkeit noch Wahrheit gegeben sind, das sind diese gemein-samen standardisierten Maßstäbe und Normen der Prinzipien, die vom Qur’an und dem Propheten des Islam ohne jede Unklarheit erörtert worden sind. Deshalb kann kein islamischer Qur’anexeget einen IºtihÁd oder eine Interpretation des Qur’an und der islamischen Lehren präsentieren, in denen diese standardisierten Maßstäbe außer Acht gelassen wurden.
Diese Maßstäbe und Standards garantieren die Wahrheit der islamischen Identität, der Iºtihadtheorien und der unterschiedlichen Interpretationen von den islamischen Geboten. Deshalb kann man nicht jeder Interpretation, die vom Islam gegeben wird, vertrauen und sie als legitim und richtig ansehen. Diese Erklärungen lassen uns die Wurzel der Entstehung von Abweichung im Islam deutlich erkennen und identifizieren. Ein Ignorieren des Ijtihads bewirkt, dass sich die Gefahr der Oberflächlichkeit und Stagnation zeigt, und das Ergebnis davon ist die fehlende Übereinstimmung des Islam mit den epochalen Kulturen und zivilisatorischen Wandlungen. Das verursacht kulturellen und religiösen Antagonismus zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.
Wenn im Prozess des Ijtihads die wesentlichen Standards und Hauptprinzipien des Qur’an ignoriert werden, besteht andererseits die Gefahr, dass beim Aufbau und der Interpretation des Qur’an und der islamischen Lehren, persönliche Interessen und ethnische und kulturelle Engstirnigkeit beteiligt sind. Solche Interpretationen sind natürlich unzulässig. Die extremistische Interpretation von islamischen Geboten sind einige Beispiele für derartige illegitime Interpretationen, denen man kein Vertrauen schenken darf. Derartige Interpretationen lassen die grundlegenden Prinzipien und Maßstäbe, die dem Islam seine Identität verleihen, außer Acht. Die anfänglich genannte Warnung des Qur’an betrifft genau solche Fälle, in denen die Verse absichtlich missbräuchlich interpretiert werden.
Hier sehen wir, dass der Mangel an einem einheitlichen Ijtihad und einer einheitlichen Qur’aninterpretation, der eine Art des Verlusts einer einfachen und einheitlichen Verbindung aller von dieser Botschaft Angesprochenen darstellt, andererseits aber auch als ein positives Zeichen zu sehen ist, das ein pluralistisches Verständnis ermöglicht und den Grund für einen neuen Ijtihad bereitet, der ohne die Rahmen und Prinzipien, die den Hauptgeist der qur’anischen Botschaft bilden, zu ignorieren, mit einem den Erfordernissen der Zeit gemäßen Qur’anverständnis die Botschaft des Qur’an lebendig hält und für jede Zeit und jeden Ort anbietet. Das Angebotene bewahrt die Hauptbotschaft Gottes und umfasst die göttlichen Prinzipien und Inhalte. Genau besehen beinhaltet der islamische Ijtihad die Mäßigkeit, und er ist frei von jeder Art der Stagnation und Rückständigkeit.
Man kann die islamischen Lehren und qur’anischen Botschaften von den Verschmutzungen durch Kulturen und Traditionen, die keinerlei Verbindung mit dieser Lehre haben, reinigen. Dazu bedarf es eines erneuten ernsthaften Überdenkens von vielen Verhaltensweisen und Meinungen, die insbesondere im Westen mit dem Namen des Islam versehen werden.
Und von der anderen Seite hält er sich fest an die göttliche Botschaft und die wahren islamischen Prinzipien, die der Prophet selbst gelehrt hat und ist folglich fern jeder Art von individuellen und persönlichen Äußerungen. Zweifellos zeigt jede Art von Extremismus und Durcheinander in den Theorien, die im Namen des Islam verbreitet werden, genau diese Missachtung des IºtihÁd und dass man nicht an den Prinzipien der Interpretation des Qur’an und anderer islamischer Werke festhält. Heutzutage haben sich die islamischen Gebote bei vielen Muslimen mit ihren individuellen kulturellen, ethnischen und nationalen Interessen vermischt. Und deshalb kommen solche Missverständnisse und falschen Vorstellungen vom Islam bei nichtmuslimischen Adressaten des Qur’an zustande, und sie denken, dass das, was die Muslime vom Islam darstellen, wirklich der Islam ist, obwohl die Wahrheit eine andere ist. Die grammatikalische Sprache des Qur’an ist arabisch, aber das bedeutet nicht, dass es uns gestattet ist, die qur’anischen Botschaften mit der arabischen Tradition und Kultur zu vermischen oder den Qur’an unter dem Einfluss dieser Kultur zu interpretieren und zu erklären. Die qur’anischen Botschaften sind Botschaften, die hundertprozentig menschlich sind, und die über Traditionen und nationalen ethnischen Kulturen stehen. Aber bedauerlicherweise sind im Laufe der Geschichte Zeichen einer Vermischung von qur’anischen Begriffen und Botschaften einerseits und anderen Kulturen andererseits sichtbar geworden. Themen wie Frauenrechte, die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft und der Umgang mit Frauen sind Themen, die unter derartigen Vermischungen besonders leiden, das heißt sie sind in besonderem Maße von ethnischen Traditionen und Gewohnheiten beeinflusst worden. Als weitere Beispiele für derartige Vermischungen können wir z. B. die Verbindung und Beziehung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen nennen, also die Vermischung von Muslimen und Nichtmuslimen unter dem Einfluss der islamischen Lehre mit anderen ethnischen Kulturen. Man kann die islamischen Lehren und qur’anischen Botschaften von den Verschmutzungen durch Kulturen und Traditionen, die keinerlei Verbindung mit dieser Lehre haben, reinigen.
Dazu bedarf es eines erneuten ernsthaften Überdenkens von vielen Verhaltensweisen und Meinungen, die insbesondere im Westen mit dem Namen des Islam versehen werden. Grundsätzlich wird über das Einheimischwerden des Islam im Kontext der Gegebenheiten und Voraussetzungen der europäischen Gesellschaft gesprochen. Einheimischwerden setzt diese Reinigung und Selektierung und die Kenntnis von den wahren islamischen Gedanken voraus. Hier zeigt sich die entscheidende Bedeutung des Ijtihadelements im Prozess des Einheimischwerdens und der Bildung des Islam entsprechend der europäischen Gesellschaft.
Aus dem bisher Gesagten können wir ein klares Ergebnis ableiten, und zwar dass man sich unter Berücksichtigung der erwähnten Potenziale mit der Möglichkeit eines erneuten Überdenkens in vielen Bereichen beschäftigen muss, insbesondere in den Bereichen, die unklar und strittig sind. Dieses etwas ausführliche Vorwort ist im Hinblick auf die nachfolgenden Erklärungen notwendig, die sich mit den Fragen und Unklarheiten im Zusammenhang mit den Rechten der Frau und den qur’anischen Aussagen zu diesem Thema beschäftigen werden.
Fortsetzung folgt.
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