Zur Methodologie einer ganzheitlichen Qur’aninterpretation
S. A. Hosseini Ghaemmaghami
Der Qur’an hat als Wunder des Propheten, der das göttliche Wort beinhaltet, alle Grundprinzipien zur Erreichung der notwendigen menschlichen Ethik dargelegt. Hinsichtlich der Interpretationsbedürftigkeit des Qur’an wurde bereits gesagt, dass der Qur’an in aller Deutlichkeit feststellt, dass die äußere Bedeutung eines Teils des Qur’ans nicht die eigentlich gemeinte Bedeutung ist, sondern dass diese der Interpretation bedarf. Die größte Gefahr jedoch, der die Heiligen Schriften ausgesetzt sind, sind falsche Interpretationen, die zuweilen abweichend oder extrem sind. Eine falsche Interpretation und der Missbrauch der äußeren Bedeutung bezieht sich nicht nur auf den Qur’an, sondern alle Heiligen Schriften und auch andere Werke sind vor dieser Gefahr nicht geschützt.
Im Laufe der Geschichte wurden z. B. das Alte und das Neue Testament oftmals zur Rechtfertigung von unmenschlichen Verhaltensweisen, Ge-walt und Verbrechen missbraucht. Jahrhundertelang hat die despotische religiöse Herrschaft in Europa ihre Legitimation zu Unrecht auf eine spezielle Interpretation der Heiligen Schriften begründet. Das Problem der Interpretation der Heiligen Schriften liegt zwischen zwei mühevollen und schweren Wegen. Auf der einen Seite gibt es die Gefahr der Stagnation und Oberflächlichkeit, die aufgrund der äußerlichen Bedeutung der Sätze und Ausdrücke jede Art der Interpretation verneint und ablehnt. Aus dieser Betrachtungsweise resultiert letztlich ein irrationaler Fundamentalismus, weil diejenigen, die diese Theorie vertreten, mit der modernen Welt in allen geistigen Bereichen, d. h. philosophischen, sozialen und politischen Bereichen, Kämpfe und Auseinandersetzungen führen und keine Art des Wandels akzeptieren. Sie lehnen selbst moderne Technologie mit der Begründung ab, dass das Äußere des Qur’an das nicht bestätigt. Andererseits gibt es falsche Interpretationen, die sogar Gewalt und Verbrechen rechtfertigen.
Um diesen zwei abweichenden und extremen Strömungen fernzubleiben, bedarf es Maßstäbe und Prinzipien, die den goldenen Mittelweg und eine gemäßigte und sichere Methode für die Interpretation und den Gebrauch der Heiligen Schriften vermitteln. Unter den Heiligen Schriften der Religionen hat der Qur’an die Besonderheit, dass er selbst mit aller Deutlichkeit dieses Problem erwähnt und eine Lösung dafür vorschlägt: Er ist Gott, Der dir, Mohammad, den Qur’an offenbart hat. Ein Teil dieses Buches sind eindeutige Verse, und diese Verse sind das Hauptprinzip und der Maßstab des Buches. Und ein Teil der Verse sind mehrdeutig und unklar. Diejenigen, die kranke Herzen haben, ignorieren die eindeutigen Verse und suchen sich die unklaren Verse als Maßstab für ihre Taten aus mit der Absicht, Unruhe zu stiften. Abweichend von der wesentlichen Botschaft des Qur’an interpretieren sie diese Verse, obwohl über die Benutzung und Interpretation der mehrdeutigen Verse außer Gott und denjenigen, die eine tiefe Kenntnis haben, kein anderer Kenntnis hat. Und sie sagen: Wir glauben an die Gesamtheit des Qur’an und die Gesamtheit der qur’anischen Verse, d. h. an die eindeutigen und die mehrdeutigen Verse, die uns von Gott offenbart wurden. Gott hat in diesem Vers drei wichtige Punkte betont:
1. Die Interpretierbarkeit des Qur’an, d. h. zumindest manche mehrdeutige Verse können ohne Interpretation und Auslegung nicht verstanden werden.
2. Die Möglichkeit der falschen und missbräuchlichen Interpretation der qur’anischen Verse.
3. Die Interpretation des Qur’an und insbesondere der mehrdeutigen Verse hat eine besondere Methodik, die vor Missbrauch schützt, wenn man vollkommen an ihr festhält.
Mit dieser Erklärung erhält die Erkenntnis über den Mechanismus und die Methode des Verstehens und der Interpretation des Qur’an eine besondere Bedeutung. Selbstverständlich bedarf dies einer umfassenden Diskussion, aber in diesem begrenzten Rahmen sollen zumindest die wichtigsten Punkte erwähnt werden, die bei der Interpretation und dem Verstehen des Qur’an berücksichtigt werden müssen.
Ineinander verwobene qur’anische Verse
Das erste Prinzip, das bei der Interpretation und dem Verstehen des Qur’an berücksichtigt werden muss, ist das Prinzip der ineinander verwobenen Qur’anverse. Der Redner im Qur’an ist Einer, nämlich Gott. Sowohl im Qur’an als auch in den Lehren des Propheten des Islam wird oft mit aller Deutlichkeit betont, dass der Qur’an Gotteswort ist, d. h. die qur’anischen Verse stehen miteinander im Zusammenhang und sind miteinander verbunden. Der Qur’an ist keine Ansammlung einzelner Wörter, die voneinander getrennt sind, sondern sie stehen im engen Zusammenhang miteinander. Auf die gleiche Weise, wie man eine Rede nicht auf die einleitenden Worte reduzieren und die im Verlauf der Rede dargelegte Argumentation außer Acht lassen kann, muss man berücksichtigen, dass das Wort Gottes im gesamten Qur’an vom ersten bis zum letzten Vers eine Einheit und einen Zusammenhang bildet und als eine miteinander verbundene Gesamtheit zu sehen ist. Jedes Teil kann nur im Kontext der Gesamtheit des Qur’ans interpretiert und verstanden werden.
Im Qur’an ist die Rede von jenen, die das Gotteswort in Einzelteile trennen, an einen Teil davon glauben und andere Teile ignorieren. Aus qur’anischer Sicht sind das diejenigen, die sich um ihrer eigenen Vorteile willen und um ihr Verhalten und ihre Ideen zu rechtfertigen oder auch aus Unwissenheit mit einem Teil vom Qur’an beschäftigen, anstatt den Qur’an in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen und an ihn zu glauben. Aus qur’anischer Sicht ist die Reduzierung des gesamten Qur’an auf einen Teil gleichbedeutend mit der Ablehnung der gesamten Schrift, und die daraus resultierenden gewaltigen Verluste und Schäden für das Schicksal im Jenseits sind schlimmer als für jene, die den Qur’an ablehnen oder nicht daran glauben. In dem erwähnten Vers aus der Sure Àl-þImrÁn wird in aller Deutlichkeit gesagt, dass die mehrdeutigen und unklaren Verse im Kontext der eindeutigen und vollkommen klaren Verse interpretiert werden müssen.
Das Nebeneinander verursacht Pluralismus, aber das Miteinander bewirkt die Schaffung von Einheit. Selbst-verständlich hat diese Einheit eine andere Bedeutung und bringt einen anderen Begriff hervor als die Addition der Zahl der einzelnen Menschen, die nebeneinander stehen.
Die grundsätzliche und systematische Sichtweise bei der Qur’aninter-pretation
Aus den Worten Gottes, wonach die mehrdeutigen Verse mit Hilfe der eindeutigen Verse interpretiert werden müssen, geht eine besondere Methodologie für die Interpretation und Benutzung des Qur’an hervor. Bei dieser Methode, die durch den Gehalt des Qur’an legitimiert ist, wird der Qur’an erstens als eine ineinander verwobene Menge und Gesamtheit dargestellt. Deshalb sehen wird, dass Gott die Interpretation und Beschäftigung mit dem Qur’an denjenigen überlassen und diejenigen dafür legitimiert hat, die eine tiefe Kenntnis und ein hohes Bewusstsein haben. Der Qur’an bezeichnet diese Menschen als „rÁse¿Úna fÍ þilm“, d. h. die gründlich Wissenden, die eine tiefe Kenntnis vom Qur’an erlangt und die Oberfläche hinter sich gelassen haben und in die Tiefe vorgedrungen sind. Gemäß den Besonderheiten derjenigen, die zur Interpretation dieser Schrift berechtigt sind, sollen sie an dieses Buch in seiner Gesamtheit glauben. Wie bereits erwähnt wurde, ist ein Teil vom Qur’an, auch wenn er viele Verse umfasst, immer nur ein Teil. Das verdeutlicht nochmals, dass diejenigen, die den Qur’an interpretieren dürfen, den gesamten Qur’an beachten müssen und sich nicht nur auf einen Teil des Qur’an konzentrieren dürfen. In der Fortsetzung dieses Verses wird die grundsätzliche Sichtweise dieser gründlich Wissenden mit den Worten hervorgehoben: Wir glauben an dieses Buch und die Gesamtheit der Verse, die von Gott herabgesandt wurden.
Hier muss man dieser grundsätzlichen oder ganzheitlichen Sicht beim Verstehen und Interpretieren der qur’anischen Verse, die der Qur’an so sehr betont, ein wenig mehr Beachtung schenken. Wenn im Qur’an die Gesamtheit betont wird, muss man wissen, dass Gesamtheit z. B. nicht nur eine Menge von Menschen ist, die nebeneinander stehen. Die Gesamtheit ist eine Menge von Menschen, die in Verbindung miteinander stehen. Das Nebeneinander einer Gesamtheit bedeutet nichts anderes, als dass einzelne Menschen getrennt voneinander nebeneinander stehen, d. h. das ist eine Gesamtheit von einzelnen Teilen, wie wenn wir z. B. sagen 1+1+1+1=4. Aber das Miteinander bringt eine enge Verbindung der Menschen zum Ausdruck, d. h. Verbindung der Menschen birgt eine Bedeutung. Dieses Miteinander der in Verbindung stehenden Menschen bringt ein anderes Ergebnis zustande als die Summe der Einzelteile. Im Arabischen werden dafür zwei Begriffe benutzt: Einmal der Begriff ºamÍþ, der für das Nebeneinander der Menschen steht, und zum anderen der Begriff maºmÚþ, der für das Miteinander der in Verbindung stehenden Menschen gebraucht wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen wird so erklärt: Das Nebeneinander verursacht Pluralismus, aber das Miteinander bewirkt die Schaffung von Einheit. Selbstverständlich hat diese Einheit eine andere Bedeutung und bringt einen anderen Begriff hervor als die Addition der Zahl der einzelnen Menschen, die nebeneinander stehen.
Kenntnis und Bewusstsein von der Theorie der Systeme kann bei der Erklärung und Interpretation des Gesagten helfen. Die inhaltliche Verbindung zwischen den qur’anischen Versen deutet auf ein Erkenntnis- und Bedeutungssystem oder mehrere Systeme in der Gesamtheit des Qur’an hin. Von diesen Systemen sind manche haupt- und andere nebensächlich, wobei natürlich die Nebensysteme im Kontext der Hauptsysteme verstanden und interpretiert werden müssen. Abgesehen von den Aussagen und Erklärungen im Qur’an berichten der Prophet des Islam und religiöse Persönlichkeiten von Versen, die aufhebend oder aufgehoben, zusammenfassend oder klar, erklärend oder verkürzend, allgemein oder besonders, absolut oder eingeschränkt sind. Hierzu eine kurze Erklärung: Manche Gebote im Qur’an sind zeitabhängig und temporär, d. h. sie gehören zu einer bestimmten Zeit, und nachdem diese Zeit vorüber ist, haben sie für die nachfolgenden Zeiten keine Wirkung mehr und können nicht mehr praktiziert werden; sie werden also in ein historisches Phänomen umgewandelt. Eine solche Wandlung oder Veränderung nennt man „nas¿“ (Fristende), und ein Vers, dessen Frist zu Ende ist, wird mansÚ¿ genannt. Die Verse, die für ein Gebot ein Fristende bedeuten und dessen Ersetzung durch ein kommendes Gebot erklären, werden nÁsi¿ (beendend) genannt. So gibt es auch manche Qur’anverse, die ein Gebot für allgemein und grundsätzlich erklären, und im Gegensatz dazu gibt es Verse, die diese Allgemeingültigkeit aufheben. Erstere nennt man þÁm und muÔlaq (absolut), letztere ¿ÁÈ oder muqayyad (eingeschränkt). Es ist immer so, dass das Eingeschränkte das Absolute einschränkend bestimmt. Selbstverständlich kann man ohne systematische und grundsätzliche Kenntnis die Qur’anverse nicht auf diese Art und Weise unterteilen und kategorisieren und das Verhältnis zueinander (d. h. welche Verse z. B. eingeschränkt oder absolut sind) bestimmen. Deshalb betont der Qur’an mit aller Deutlichkeit, dass die Hauptbedingung für die Interpretation und die besondere Eigenschaft eines Exegeten eine tiefe Kenntnis und die Fähigkeit der ganzheitlichen Sicht. Die religiösen Lehren stellen unmissverständlich fest, dass ein Teil des Qur’Án den anderen Teil interpretiert.
Methodologie der Qur’aninterpreta-tion
Wie im Zusammenhang mit den Mechanismen der Qur’aninterpreta-tion bereits erwähnt, soll man bei der Interpretation des Qur’an grundsätzlich alle Verse berücksichtigen. Im Zusammenhang mit dieser Thematik ist es passend, auf die Systemtheorie zu verweisen, die weitgehend auf Niklas Luhmann zurückgeht. Er sagt: „Die Welt ist nichts, was man von einem Blickwinkel aus interpretieren könnte.“ Die systematische Sicht des Qur’an lehrt uns, dass man die qur’anische Botschaft nicht mit einem oder ein paar voneinander getrennten Versen interpretieren kann. Ohne Herauskristallisierung der Verbindung zwischen den Versen und ohne Kenntnis von den Strukturen und grundsätzlichen Systemen der Verse, kann man zu keiner legitimen und akzeptablen Bedeutung und Interpretation der qur’anischen Verse gelangen. Selbstverständlich sind die Beziehungen der Verse nicht im Hinblick auf alle Verse im gleichen Maße bedeutsam. Es gilt jedoch, diese Verbindung zu erkennen und herauszukristallisieren, damit man sicher und überzeugt sein kann, dass die gefundene Bedeutung dem entspricht, was dieser Vers besagen will. Es wurde gesagt, dass Gott eine Interpretation der qur’anischen Verse, die auf dem persönlichen Geschmack des Menschen beruht, mit allem Nachdruck ablehnt; auch der Prophet des Islam hat diese Art der Interpretation als individuelle Auslegung bezeichnet und abgelehnt, und demjenigen, der so etwas tut, ist die Strafe Gottes sicher.
Diese Erklärung macht deutlich, welches die wichtigsten Formen der individuellen Interpretation sind. Dazu gehören die Interpretationen, die diese tiefe Bedeutung der Beziehungen der Verse nicht gefunden haben, die außerhalb der grundsätzlichen dominanten Systeme sind, und die einen Teil des Qur’an herausnehmen und nur mit diesem Teil argumentieren, während sie den restlichen Teil ignorieren und vergessen. Solche Interpretationen gehören alle zu den individuellen Interpretationen des Qur’an.
Aber es stellt sich die Frage, wie man die auf die Verse herrschenden Systeme erkennen kann, damit man mit deren Hilfe die Interpretation und die tiefe Bedeutung der Verse herauskristallisieren kann. Das ist eine wichtige Frage an sich, deren Beantwortung ein ausführliches und eigenständiges Thema ist, das in diesem Rahmen nicht erläutert werden kann. Aber ich möchte nur kurz erwähnen, dass man für das Erkennen und Entdecken der über die Qur’anverse herrschenden Systeme eine genaue Kenntnis von den eindeutigen und mehrdeutigen Versen im Qur’an benötigt. Wie bereits gesagt wurde, hat Gott einige Verse im Qur’an als mo½kam, d. h. eindeutige Verse bezeichnet, und diese gelten als Mutter und wesentlicher Teil des Buches. Im Unterschied dazu gibt es die mehrdeutigen, d. h. die mutaÊabih-Verse. Der Begriff „umm“ bedeutet Mutter, und dieser Begriff wird in der arabischen Sprache in solchen Fällen benutzt, in denen man das Hauptprinzip, die Grundlage und den Maßstab für etwas anderes aufzeigen will, genauso wie sich die Wurzeln der Kinder auf die Mutter beziehen. Jede Sache und jede Person, die diese Funktion für die anderen erfüllt, wird „umm“ oder Mutter genannt.
Andererseits wurde gesagt, dass im Qur’an der Begriff des „Buches“ nur auf die Gesamtheit der göttlichen Botschaft bezogen ist, und deshalb kann man diesen Begriff nicht für einen Teil von Gottes Wort benutzen. Folglich kann man von der Tatsache, dass Gott die mo½kam-Verse als „Umm-ul-KitÁb“ bezeichnet, einige wichtige Punkte ableiten:
1. Im Qur’an gibt es einige Verse, die den Rahmen und das Fundament des qur’anischen Denkens und der qur’anischen Botschaft bilden. Dieses Fundament ist der Maßstab und lenkt die tiefe Bedeutung der Gesamtheit des Qur’an.
2. Indem Gott die Gesamtheit des Qur’an in zwei Kategorien unterteilt, nämlich eindeutige und mehrdeutige Verse, wird deutlich, dass jene Verse, die nicht als mo½kam-Verse gelten, folglich mutaÊabih-Verse sind. Ganz am Anfang kann man feststellen, dass die Anzahl der mehrdeutigen Verse viel höher ist als die Anzahl der eindeutigen Verse, und das entspricht vollkommen dem Verhältnis zwischen Neben- und Hauptprinzipien. Das Hauptprinzip, das die Quelle für die Nebenprinzipien und Zweige ist, beinhaltet mehr Einschränkungen. Dieser Punkt zeigt die Wichtigkeit und Bedeutung der mo½kam-Verse und macht deutlich, dass das Herausfinden, die Herauskristallisierung und Zusammenstellung dieser Verse nicht so schwer ist.
Würde und Gleichheit des Menschen unabhängig von Rasse und Religion, die Distanzierung von Gewalt und die Herrschaft des Friedens, die Bewahrung der Rechte der Anderen und gesellschaftliche Gerechtigkeit usw. sind die wichtigsten Regelungen, die im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen in den eindeutigen Versen vorhanden sind.
Dank dieser Erklärung ist es nicht mehr nötig, noch gesondert über die Bedeutung des Begriffes „mutaÊabih“ und welche Verse als solche gelten, zu diskutieren. D. h. sobald wir die mo½kam-Verse gefunden haben und kennen, werden dadurch natürlich auch die mutaÊabih-Verse bestimmt. Die mo½kam-Verse werden als Leitverse bezeichnet, weil sie als Leitlinien für die Interpretation und Bedeutung der anderen Verse fungieren und die Grundlage bilden für das Beurteilen der wesentlichen und endgültigen Botschaft des Qur’an. Sie reinigen im übertragenen Sinne das unklare Gesicht der anderen Verse vom Staub. Sie werden auch als Richtverse bezeichnet, denn die Wurzel des Begriffes „mo½kam“ ist „½ukm“, und das bedeutet wiederum Urteil, was die Bedeutung der mo½kam-Verse weiter unterstreicht.
Die Leit- und Richtverse im Qur’an
Unter Berücksichtigung der Eigenschaften, die wir für die Leitverse dargelegt haben, sind diese Verse von allgemeiner und endgültiger Natur, d. h. es sind grundsätzliche Regelungen, die den Geist und das wesentliche Ziel des Qur’an in verschiedenen Bereichen der Verbindungen und Beziehungen des Menschen erörtern. Endgültigkeit dieser Verse bedeutet, dass sie für keine bestimmte oder besondere Gegebenheit erörtert wurden, so dass eine Veränderung der Gegebenheiten eine Änderung dieses Gebotes bedeuten würde, sondern diese Verse haben eine langfristige und kontinuierliche Strategie im Hinblick auf den natürlichen und normalem Zustand zum Inhalt. Eine Veränderung des Zustandes käme z. B. einer Anmerkung zum entsprechenden Vers gleich.
Mit der Herauskristallisierung und dem Verstehen der grundsätzlichen Regelungen, die in den Leitversen vorhanden sind, können wir tatsächlich die Botschaft und das endgültige und wesentliche Ziel des Qur’an in verschiedenen Bereichen der individuellen und gesellschaftlichen Existenz des Menschen wie z. B. Anbetung und Scharia, Familie und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft usw. deutlich machen. Würde und Gleichheit des Menschen unabhängig von Rasse und Religion, die Distanzierung von Gewalt und die Herrschaft des Friedens, die Bewahrung der Rechte der Anderen und gesellschaftliche Gerechtigkeit usw. sind die wichtigsten Regelungen, die im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen in den mo½kam-Versen vorhanden sind. Mit der Identifizierung und Erreichung dieser Botschaften und wesentlichen Ziele aus dem Inhalt des Qur’an und ihrer Darstellung als grundsätzliche Regelung bilden sie eine Struktur und ein System, in dem jede Art von Interpretation und Feststellung der Bedeutung der qur’anischen Verse stattfindet. Der Maßstab für die Richtigkeit und Falschheit der Bedeutung und Interpretation von Versen basiert auf der Übereinstimmung mit dieser grundsätzlichen Struktur und diesem System.
Wenn wir also bei der Untersuchung der Gesamtheit des Qur’an feststellen, dass in mo½kam-Versen gesagt wird, „aÈ-Èol½ ¿ayr“, d. h. der Friede ist besser als alles andere, wie auch in Vers 208 der Sure al-Baqara gesagt wird: O ihr, die ihr glaubt, tretet alle ein in den Frieden…, wenn also eine solche Regel herauskristallisiert wird, dass Frieden und Freundschaft zwischen den Menschen eine grundsätzliche und wesentliche Botschaft des Qur’an im Bereich der menschlichen Beziehungen darstellt, dann bestätigen die anderen Verse des Qur’an die Bedeutung dieser grundsätzlichen Regel oder interpretieren sie als eine Art Anmerkung zu deren Details. Wenn im Gegensatz dazu die mehrdeutigen Verse eine den eindeutigen Versen widersprechende Bedeutung zu haben scheinen, dann ist das eine äußerliche Bedeutung, mit der man nicht argumentieren und auf die man nicht vertrauen kann. Um die wahre Bedeutung dieser mehrdeutigen Verse zu erkennen, muss man sich den mo½kam-Versen und grundsätzlichen Regelungen, die herauskristallisiert wurden, zuwenden (d. h. für die Interpretation dieser Verse muss man sich an die mo½kam-Verse oder andere grundsätzliche Verse wenden). Das ist die Interpretationsmethode, die durch das Gotteswort selbst legitimiert ist.
Der Qur’an stellt in aller Deutlichkeit fest, dass die Menschen, die die Qur’anverse ausnutzen und Unruhe stiften wollen, diese Methode ignorieren und sich nicht an den mo½kam-Versen orientieren, die als Leitverse zum Urteilen und Bestimmen grundsätzlicher Regelungen gelten. Als Beispiel spricht der Qur’an von einer Gruppe von Menschen, die behaupten, gläubig zu sein, und obwohl sie an Gott glauben, ignorieren sie die Botschaft dieses göttlichen Buches, wonach Frieden und Freundschaft, Verzicht auf Gewalt, Achtung der Gerechtigkeit und die Bewahrung der Rechte der Anderen geboten sind, und begehen kriminelle und gewalttätige Verbrechen gegen andere Menschen. Der Qur’an sagt mit aller Deutlichkeit, dass die Taten dieser Gruppen zu verurteilen sind und verspricht ihnen die schlimmsten Bestrafungen: O ihr Gruppe, die ihr behauptet, gläubig zu sein: Erinnert euch, dass Gott mit euch einen Vertrag geschlossen hat. Und ihr seid verpflichtet, euch nicht gegenseitig umzubringen und euch nicht ungerecht zu behandeln. Ihr dürft euch nicht aus eurer Heimat und euren Städten vertreiben. Ihr habt diesen Vertrag von Gott akzeptiert und angenommen und seid selbst Zeuge dafür. Und obwohl ihr diesen Vertrag und das Versprechen mit Gott geschlossen habt, bringt ihr euch gegenseitig um und vertreibt eine Gruppe aus ihren Städten. Ein Teil von ihnen arbeitet in ihren schlechten Taten und ihrer Ungerechtigkeit gegen eine andere Gruppe mit anderen zusammen. Wenn sie jemanden als Geisel nehmen, verlangen sie für ihre Befreiung Belohnung; und obwohl Gottes Gebot die Vertreibung der Menschen aus ihren Häusern und Städten für euch verboten hat, haben sie sogar die Absicht, sie zu töten oder als Geisel zu nehmen. Glaubt ihr (für die Rechtfertigung eurer kriminellen und schlechten Taten) an einen Teil des Heiligen Buches und an einen anderen Teil glaubt ihr nicht? Deshalb ist die Strafe für diejenigen von euch, die solche Taten tun, nichts anderes als Erniedrigung im Diesseits, und im Jenseits werden sie die schlimmsten Strafen bekommen. Und Gott weiß alles, was ihr tut.
Hier wird nochmals festgestellt, dass der Qur’an mit aller Deutlichkeit erwähnt, dass man im Widerspruch zu seiner Hauptbotschaft Gewalt und Ungerechtigkeit nur rechtfertigen kann, indem man nur einen Teil des Qur’an betont und nur auf das Äußere des Qur’an beachtet. Nach den oben zitierten qur’anischen Versen wird der Weg für die Beseitigung solcher Abweichungen genannt, nämlich die grundsätzliche Sicht und die Berücksichtigung der Gesamtheit der Verse. Die Wichtigkeit der grundsätzlichen Sicht beim Verstehen und Interpretieren des Qur’an geht so weit, dass manche wichtigen qur’anischen Begriffe und Ausdrücke nur richtig verstanden werden, wenn man sie in Verbindung mit der grundsätzlichen Sicht des Qur’an und im Zusammenhang mit der Bedeutung anderer Verse interpretiert. (D. h. die Bedeutung dieses Begriffes wird unter Berücksichtigung dieses Verses und der anderen Verse verstanden). Deshalb sollen nicht nur die Verse und Sätze im Qur’an, sondern auch die vielen Begriffe und Wörter als Glieder einer Kette verstanden werden, die miteinander verbunden sind. Es ist möglich, dass ein Wort alleine eine Bedeutung hat, aber wenn man dieses Wort oder diesen Begriff in einer Vielzahl von Sätzen und Gedanken untersucht, wird man möglicherweise feststellen, dass es eine ganz andere Bedeutung hat. Unglaube (kufr), Glaube (imÁn), Anstrengung auf dem Weg Gottes (ºihÁd), Freundschaft mit den Gläubigen (tawalla), Gutes (maþrÚf), Schlechtes (munkar) usw. gehören zu solchen Begriffen, die im Kontext der vorher erwähnten Strukturen ihre Bedeutung erlangen. Die Nichtbeachtung dieses Mechanismus’, dieser Strukturen und grundsätzlichen Regelungen verursacht, dass die qur’anischen Ausdrücke falsch verstanden werden, was wiederum in einer falschen Interpretation der Verse resultiert. Bei einer anderen Gelegenheit werden wir über das falsche Verständnis der qur’anischen Begriffe „Unglauben“ (kufr) und „Schlagen“ (±araba) sprechen.
Die Begriffe „Unglauben“ und „Ungläubige“ im Qur’an
Hier muss eine wichtige Wahrheit erwähnt werden, und zwar, dass in vielen Fällen die wahre Botschaft des Qur’an durch falsches Verständnis und falsche Exegese verborgen geblieben ist, so dass das, was als Stimme des Qur’an bekannt wird, von der wesentlichen Botschaft des Qur’an sehr weit entfernt ist oder ihr zuweilen ganz widerspricht - eine Gefahr, die der Qur’an selbst erwähnt. Oftmals wurden dem Qur’an je nach Geschmack Wahrnehmungen, Traditionen und persönliche, Gruppen- und Volksinteressen zugeschrieben und als Botschaft und Stimme des Qur’an vorgestellt. Man muss zweifelsohne annehmen, dass viele bekannte Übersetzungen und Kommentare von einigen wichtigen und entscheidenden Qur’anversen diesem Schädling ausgesetzt sind. Unter Berücksichtigung der zuvor erwähnten Methodologie (für das Verständnis und die Exegese des Qur’an) bedarf es deshalb einer ernsthaften Überprüfung der Übersetzung und Exegese des Qur’an, und zwar insbesondere der Verse, die die gesellschaftlichen Verbindungen und Beziehungen erklären. Auf der Grundlage dieser Absicht und Sichtweise werden wir deshalb einige qur’anische Begriffe und Ausdrücke untersuchen und deren wahre Bedeutung im Qur’an herauskristallisieren. Erklärend muss jedoch vorausgeschickt werden, dass in diesem Kontext keine allumfassende tiefgründige fachmännische Diskussion geführt werden kann und wir gezwungen sind, bei diesen Diskussionen auf einige Prinzipien und Grundregeln zurückzugreifen, die im Kontext spezifischer Thematiken bereits bewiesen wurden.
Die Begriffe „Unglaube“ und „Ungläubige“ sind zwei wichtige Begriffe, die zusammen mit den von ihnen abgeleiteten Begriffen im Qur’an oft Verwendung finden, was für viele theologische Lehren und Botschaften und auch religiöse und gesellschaftliche Lehren und Botschaften im Qur’an eine entscheidende und wichtige Funktion hat. Jede Art der Exegese und Interpretation dieser zwei Begriffe kann diese Lehren und Botschaften gründlich und strukturell beeinflussen, d. h. abhängig davon, was Unglaube und Ungläubige bedeutet und wie sie interpretiert werden, werden die qur’anischen Botschaften und Lehren in den zuvor genannten Bereichen grundsätzliche und prinzipielle Veränderungen erfahren.
Dem Verständnis von vielen Muslimen und auch Nichtmuslimen nach ist eine Wahrnehmung und ein Glauben außerhalb des Islam und der qur’anischen Lehren gleichbedeutend mit Unglaube, und demnach werden die Nichtmuslime, die nicht an den Islam und den Qur’an glauben, als Ungläubige bezeichnet. Wir müssen jedoch sehen, ob oder wie weit eine solche Definition und Interpretation von Unglauben und Ungläubigen mit der qur’anischen Lehre übereinstimmt. Nennt der Qur’an die Andersdenkenden und die Anhänger anderer Religionen tatsächlich ungläubig? Selbstverständlich ist die einzige legitime Quelle, die diese Frage beantworten darf, der Qur’an selbst.
Grundsätzlich gilt, dass die im Qur’an verwendeten Begriffe nicht immer und in allen Fällen in der üblichen und wortwörtlichen Bedeutung der Begriffe gebraucht wurden, sondern der Qur’an, der den Diskurs einer neuen Kultur und eines neuen Denkens auf der Grundlage der göttlichen Botschaft und Theologie begründet hat, hat natürlich diesem Diskurs entsprechend die wortwörtliche Bedeutung der Begriffe verändert und sie in unterschiedlichen Bedeutungen benutzt. Was wichtig ist, ist die Untersuchung und Kenntnis der neuen Begriffe, die in der Kultur und Literatur des Qur’an Anwendung gefunden haben.
Bei den Begriffen Unglaubenund Ungläubige können wir bei deren qur’anischer Untersuchung als ersten Punkt festhalten, dass die beiden Begriffe Unglauben und Glauben einen grundlegenden Widerspruch und Gegensatz darstellen. Diese Widersprüchlichkeit und dieser Gegensatz gehen so weit, dass „der an Gott Glaubende“ als „Ungläubiger im Hinblick auf den Teufel“ bezeichnet wird. Folglich gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Unglaube negiert wird und es keine Spur davon gibt, wo der Glaube bewiesen wird, und umgekehrt verschwindet der Glaube da, wo der Unglaube bewiesen wird. Der Glauben hat unterschiedliche Stufen und Ränge, und selbstverständlich hat auch der Unglaube, der das Gegenteil vom Glauben ist, unterschiedliche Stufen und Ränge. Demnach haben Glauben und Unglauben in diesem Fall eine relative Bedeutung, die unterschiedlich verstanden wird, wie wir in Zukunft weiter ausführen werden. Aber abgesehen von der relativen Bedeutung von Glauben und Unglauben haben diese auch eine absolute Bedeutung, und wir diskutieren hier die absolute Bedeutung des Unglaubens.
Aber ein wichtiger Punkt bei der grundsätzlichen Untersuchung der qur’anischen Verse vom Anfang bis zum Ende ist der, dass die neue und andere Benutzung von Unglauben im Qur’an keine rein theologische Bedeutung impliziert, sondern dieser Begriff wurde im Qur’an in zwei grundsätzlichen Bedeutungen benutzt, von denen nur eine theologischer Natur ist, während die andere Bedeutung vollkommen untheologisch ist.
Der überzeugte und theologische Unglaube im Qur’an
Das Thema überzeugter und theologischer Unglaube ist dreierlei Natur, und drei Gruppen werden als überzeugte Ungläubige bezeichnet:
- Diejenigen, die nicht an Gott und den Schöpfer des Universums glauben und Ihn leugnen: Wie könnt ihr Gott leugnen und nicht an ihn glauben, obwohl ihr keinen Nutzen vom Leben hattet und Er euch das Leben geschenkt hat…
- Diejenigen, die nicht an göttliche Propheten glauben: Die nicht an Gott und Seine Gesandten glauben. Der wichtige Punkt bei diesem Vers ist, dass Gott die Verleugnung aller Seiner Propheten als Kufr (Unglauben) bezeichnet hat und nicht nur die Leugnung eines bestimmten Propheten. Diesen Punkt werden wir im weiteren Verlauf noch genauer ausführen.
- Die letzten Gruppierungen, die der Qur’an als überzeugte Ungläubige bezeichnet, sind diejenigen, die das Jenseits und die Auferstehung leugnen. Diejenigen, die ungläubig sind, sagen: Es besteht uns keine Auferstehung bevor.
Abgesehen von diesen drei Gruppen wird an keiner Stelle im Qur’an einer anderen Gruppe überzeugter (theologischer) Unglauben vorgeworfen.
Die soziologische Bedeutung von Unglauben
Neben der bereits erwähnten theologischen Bedeutung von Kufr (Unglauben) hat dieser Begriff im Qur’an auch eine soziologische oder soziale Bedeutung, in der kein theologisches Element berücksichtigt wird. D. h. wenn im Qur’an eine Gruppe als ungläubig (im soziologischen Sinne) bezeichnet wird, dann ist damit niemals der Glaube oder Unglaube im Hinblick auf theologische Themen wie z. B. Gott, Prophetentum oder Jenseits gemeint, sondern er bezieht sich auf das Verhalten und die Taten dieser Gruppe.
Der Qur’an sagt in aller Deutlichkeit, dass die wichtigste Besonderheit dieser Ungläubigen die Anwendung von Gewalt gegen die anders denkenden Gläubigen ist, um sie dadurch von ihrem Glauben abzubringen. Deutlicher ausgedrückt: Jede Art der Feindschaft und der Anwendung von Gewalt, damit die Gläubigen von ihrem Glauben ablassen, wird in der speziellen Terminologie des Qur’an als „Unglauben“ bezeichnet.
Im Qur’an wird in vielen Fällen von denjenigen geredet, die die Gläubigen nicht ertragen können und ihnen feindlich gesinnt sind und sie deshalb mit aller Macht, allen Möglichkeiten und jeder Form bekämpfen, um sie von ihrem Glauben abzubringen. Sie nutzen dabei jede Möglichkeit, sei es Beleidigung oder dass sie die Gläubigen zwingen, ihre Städte und Häuser zu verlassen oder deren Frauen und Kinder und letztlich auch sie selbst töten. Diese feindselige Auseinandersetzung kann mit verschiedenen Absichten wie z. B. politischen, wirtschaftlichen oder sozialen verbunden sein. D. h. diese Gruppe bekämpfte die Gläubigen, weil sie ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Vorteile durch die neue Religion und die Gedanken, die der Prophet propagierte, gefährdet sahen. Einzig und allein aus dem Gedanken heraus, dass sie ihre persönlichen Vorteile durch die anders denkenden Gläubigen in Gefahr sahen, haben sie sich mit diesen verfeindet. Dabei waren jene, die die Gläubigen bekämpft haben, selbst nicht gläubig und hatten nicht aus ihrem religiösen Denken heraus Meinungsverschiedenheiten mit den neuen Muslimen, sondern ihr Verhalten war von materiellen Absichten beeinflusst und sie glaubten grundsätzlich nicht an eine besondere Religion.
Aber der Qur’an erwähnt auch, dass es durchaus Anhänger mancher Religionen gab, die mit solchen Gruppierungen zusammengearbeitet haben, und zwar weil sie aufgrund ihrer Unwissenheit fälschlicherweise davon ausgegangen sind, ihre Religion stärken zu können, indem sie die Gegner, d. h. die neuen Muslime unterdrücken wollten und Feindschaft und Gewalt gegen sie anwendeten.
Wenn also die Feinde der Gläubigen unterschiedliche Absichten hatten (d. h. mit ihrer Gegnerschaft gegenüber den Muslimen und Gläubigen, die anders gedacht haben, keine gemeinsame Absicht verbanden), haben sie aber dennoch alle ein gemeinsames Ziel gehabt, und zwar die Vernichtung der Gläubigen, die anders dachten als sie selbst, und die Vernichtung der neuen Religion mitsamt ihrer Wurzeln. Folglich war ihre feindliche Absicht keine religiöse Absicht, sondern das Ziel war die Vernichtung der Anhänger der neuen Religion. Jeder von ihnen hatte eine andere Absicht und einen anderen Grund für sich. In der qur’anischen Terminologie werden diese Gegner als ungläubig und ihre Tat als Unglaube bezeichnet.
Diese Bezeichnung bedeutet jedoch nicht, dass sie den Islam nicht akzeptiert haben, oder dass sie die Anhänger einer anderen Religion waren, sondern wie bereits gesagt wurde, ist bei dieser Art der Bezeichnung grundsätzlich überhaupt nicht die Rede von den Überzeugungen und dem Glauben dieser feindseligen Gruppe, sondern einzig ihr feindseliges Wesen und ihr Verhalten und ihre Taten sind der Maßstab. Ihr Tun wurde als Unglauben und sie selbst als Ungläubige bezeichnet, weil sie den Anhängern der neuen Religion (d. h. den Muslimen) feindlich gesinnt waren, sie töteten und unterdrückten, nur weil diese anders gedacht und die Botschaft des Islam angenommen haben. Unglaube und Ungläubige ist in dieser Bedeutung ein besonderer qur’anischer Begriff, der jedoch nicht gänzlich losgelöst ist von der zuvor dargelegten wortwörtlichen Bedeutung der Worte.
Als Ergebnis können wir mit aller Deutlichkeit und allem Nachdruck festhalten, dass nirgendwo im Qur’an die Begriffe Unglauben oder Ungläubige auf die Nichtmuslime angewendet werden, nur weil sie Nichtmuslime sind und den Islam nicht angenommen haben, und keine der beiden genannten Formen, d. h. weder der theologische noch der soziologische Unglaube beziehen sich auf Nichtmuslime..
Der Qur’an sagt in aller Deutlichkeit, dass die wichtigste Besonderheit dieser Ungläubigen die Anwendung von Gewalt gegen die anders denkenden Gläubigen ist, um sie dadurch von ihrem Glauben abzubringen. Deutlicher ausgedrückt: Jede Art der Feindschaft und der Anwendung von Gewalt, damit die Gläubigen von ihrem Glauben ablassen, wird in der speziellen Terminologie des Qur’an als „Unglauben“ bezeichnet. Deshalb ist das entscheidende Hauptelement bei diesem Ausdruck die feindselige Tat und nicht die theoretische und auf dem Glauben beruhende Gegnerschaft. Folglich war einerseits kein theologisches und auf dem Glauben beruhendes Element beteiligt, und andererseits weisen die feindseligen Taten unterschiedliche Stufen von Stärke und Schwäche auf. In diesem Sinne können sogar manche Verhaltensweisen und Taten von Muslimen ein Zeichen des Unglaubens sein, wie Gott im Qur’an in aller Deutlichkeit im Hinblick auf manche Verhaltensweisen der Muslime mahnt, dass sie durch dieses Verhalten mit Unglauben konfrontiert werden. Deshalb ist der soziologische Unglauben sogar mit Glauben und theoretischer Überzeugung vereinbar. Und deswegen kann sowohl ein Muslim wie auch ein Nichtmuslim, der Anhänger einer anderen göttlichen Religion ist, oder auch jeder andere, der überhaupt nicht an Gott und eine bestimmte Religion glaubt, einem solchen Unglauben ausgesetzt sein. In diesem Sinne wird der Unglaube als soziologischer praktischer und nicht als theologischer Begriff betont.
Als Ergebnis können wir mit aller Deutlichkeit und allem Nachdruck festhalten, dass nirgendwo im Qur’an die Begriffe Unglauben oder Ungläubige auf die Nichtmuslime angewendet werden, nur weil sie Nichtmuslime sind und den Islam nicht angenommen haben, und keine der beiden genannten Formen, d. h. weder der theologische noch der soziologische Unglaube beziehen sich auf Nichtmuslime. Aus qur’anischer Sicht sind sogar die Götzendiener, die nicht an Tauhid, d. h. die Einheit des Schöpfers des Seins glauben, gemäß den genannten Bedeutungen von Unglauben nicht ungläubig. Und dass die Nichtmuslime (d. h. die Anhänger anderer Religionen) ungläubig genannt werden, hat niemals seine Wurzeln im Qur’an und den Lehren des Propheten des Islam, sondern in historischen Gründen, und bis zu einer gewissen Grenze hat die wortwörtliche Bedeutung von Unglauben bei der Verbreitung dieses Ausdrucks geholfen, was bei sich bietender Gelegenheit ausführlicher besprochen werden soll.
Aus dieser Untersuchung geht hervor, wie tief vertraut wir mit den Lehren des Qur’an werden müssen. Für unsere richtige und reine Kenntnis (rein von jeder Abweichung und fern von jeder Vermischung mit falscher und persönlicher Exegese) von der qur’anischen Botschaft bedürfen wir der Rückkehr zum Qur’an, damit wir die Antworten auf unsere Fragen vom Qur’an selbst bekommen. Wo wir uns Unklarheiten gegenüber sehen, sollen wir uns an die klare Sunna wenden, die den Qur’an erklärt. Der Qur’an soll durch den Qur’an selbst gekannt werden und nicht durch geschichtliche und volkstümliche Gedanken, nichtqur’anische Überzeugungen oder persönliche Exegesen.
Aber unabhängig von diesen zwei Bedeutungen, die sich auf den Qur’an beziehen, nämlich überzeugt-theologisch und praktisch-soziolo-gisch hat das Wort Unglaube in der arabischen Literatur eine besondere Bedeutung, und der Qur’an hat diese wortwörtliche Bedeutung benutzt.
Unglaube wird im Arabischen normalerweise in drei grundsätzlichen Bedeutungen benutzt:
- etwas verneinen und leugnen;
- sich von etwas distanzieren und Abstand nehmen;
- etwas verstecken und ignorieren.
Im Qur’an wurden alle drei wortwörtlichen Bedeutungen dieses Wortes verwendet; so wurden z. B. diejenigen, die an Gott glauben und an den Teufel nicht glauben, ungläubig genannt: „Jeder, der nicht an den rebellischen Teufel glaubt und an Gott glaubt, hat sich zweifellos am sicheren Rettungsseil festgehalten.“ (Sure al-Baqara, Vers 256). In diesem Vers hat Gott gesagt, dass die Gläubigen nicht an den Teufel glauben. Der Unglaube bedeutet hier Leugnung, d. h. der Glaube an Gott bedingt die Leugnung und Verneinung aller teuflischen Erscheinungen.
In einem anderen Beispiel ist Unglaube im Sinne von sich distanzieren und Desinteresse zeigen benutzt worden: „Und dann am Tag der Auferstehung werden manche von euch von den anderen Abstand nehmen (weil ihre innere Hässlichkeit bekannt wird).“ (Al-þAnkabÚt, Vers 25).
In vielen anderen Versen ist die dritte wortwörtliche Bedeutung, nämlich verstecken und ignorieren benutzt worden; so wurde z. B. das Ignorieren und Nichtberücksichtigen der Gnaden Gottes als Unglaube bezeichnet: „Haben sie etwas, das falsch und nicht die Wahrheit ist, geglaubt und die Gnade Gottes ignoriert?“ (Sure an-Nahl, Vers 72). Der Bauer versteckt das Saatgut in der Erde und schafft damit die Voraussetzung für das Wachsen. Die wortwörtliche Bedeutung dieser Tat bedeutet Unglaube, und der Bauer ist demnach ein Ungläubiger.
Deshalb werden im Qur’an die Bauern mit dem Begriff Unglaube und ihre Taten als ungläubig bezeichnet: „Wie der Regen, der tropft und runterfällt und die Pflanzen danach aus der Erde heraussprießen, wird die Säer (al-kuffÁr) merklich erfreuen.“ (Sure al-¼adÍd, Vers 20).
Bei der Benutzung und Untersuchung des Begriffes Unglaube muss man sehr vorsichtig sein und zwischen der theologischen, soziologischen und wortwörtlichen Bedeutung differenzieren. Viele Missverständnisse und falsche Auslegungen von diesem Begriff wurden durch Vermischen und Austauschen dieser drei Bedeutungen verursacht. Sowohl im Qur’an wie auch in den Lehren des Propheten und der religiösen Lehrer wird manchen Muslimen Unglaube vorgeworfen. Noch wichtiger als das ist die Anwendung dieser Begrifflichkeit im Zusammenhang mit Gott im qur’anischen Text.
Zweifellos ist in diesem Fall der Unglaube nicht als theologischer oder soziologischer Begriff gemeint. Wenn wir den Versen, in denen dieser Begriff benutzt wird, ein bisschen Aufmerksamkeit schenken und darüber nachdenken, stellen wir fest, dass in diesen Fällen eine von den drei zuvor genannten Bedeutungen gemeint ist. Wenn Gott beispielsweise Seinen Dienern deren Sünden verzeiht, nachdem sie diese aufrichtig bereut haben, und die Dunkelheit und Finsternis der Sünde mit dem Licht und der Helligkeit, die durch die Reue geschaffen werden, die Sünden bedeckt werden, dann wird dies wortwörtlich als Unglaube im Hinblick auf Gott verstanden; oder wenn die Gläubigen zwar glauben, aber dennoch Sünden begehen, sich guter Taten enthalten und die Gebote Gottes ignorieren, dann wird ihr Tun als Unglauben bezeichnet.
Wie wir bereits gesehen haben, wurde im Qur’an mit aller Deutlichkeit das Distanzieren und Fernhalten vom Teufel und nicht an ihn zu glauben als Notwendigkeit für den Glauben dargelegt. Unter Berücksichtigung dieses Punktes ist es nur natürlich, dass die Gläubigen der anderen göttlichen Religionen, die die Botschaft und das Prophetentum des Propheten des Islam nicht akzeptiert haben, im Hinblick auf ihn ungläubig sind, d. h. ihn leugnen. Aber dieser Unglaube ist nicht theologischer oder soziologischer Natur, sondern in diesen Fällen ist zweifellos die wortwörtliche Bedeutung von Unglauben gemeint.
Grundsätzlich hat der Begriff Unglauben eine umfassende Bedeutung, und es gibt wenige Dinge, die nicht damit übereinstimmen, weil alle drei zuvor genannten wortwörtlichen Bedeutungen positive, negative und neutrale Anwendungen finden können.
Wenn jemand z. B. leugnet, dass es regnet, berichtet er von einer Wahrheit, und seine Leugnung ist weder positiv noch negativ. Aber wenn er das Recht eines anderen leugnet, dann ist diese Leugnung negativ; und wenn er etwas leugnet, was falsch ist, dann ist diese Leugnung wiederum positiv. Wir sehen also, dass die wortwörtliche Bedeutung von Unglauben wenig begrenzt ist und ein weites Spektrum umfasst.
Achten wir jedoch auf den Gebrauch dieses besonderen Begriffes im qur’anischen Kontext, stellen wir fest, dass dieser sehr begrenzt ist und die Verwendung und der Gebrauch dieses Begriffes Grenzen hat, so dass man ihn nur in speziellen Fällen verwenden kann, weil die terminologische (d. h. theologisch-soziologische) Bedeutung von Kufr sich von der wortwörtlichen Bedeutung von Kufr sehr unterscheidet, und man kann die beiden nicht austauschen oder die eine durch die andere ersetzen.
Hier muss ergänzend ein Punkt erwähnt werden. In manchen quranischen Versen kommt zum Ausdruck, dass Gott für den Glauben im Sinne eines theologischen Begriffes je nach Stärke bzw. Schwäche unterschiedliche Stufen vorgesehen hat, so z. B. wenn die Gläubigen angesprochen werden: O ihr, die ihr (richtig und tief) glaubt, o ihr, die ihr an Gott und Seinen Propheten und an das Buch, das Er Seinem Propheten herabgesandt hat glaubt, ein Buch das zuvor (anderen Propheten wie Moses und Jesus herabgesandt wurde). Und jeder, der an Gott und Seine Engel (die Seinen Willen verwirklichen) und an die Schriften, die Er herabgesandt hat und an den Jüngsten Tag (der Auferstehung) nicht glaubt und das leugnet, der wird dem Weg der Glückseligkeit fernbleiben. In diesem Vers werden die Gläubigen mit aller Deutlichkeit zum Glauben eingeladen. Zweifellos ist der zweite Glaube ein Glaube, der vollkommener und tiefer ist als der erste Glaube, d. h. aus der Sicht des Qur’an ist es möglich, dass jemand gläubig ist, aber die tieferen und vollkommeneren Stufen des Glaubens nicht erreicht hat. Deshalb wurde vorher gesagt, dass zwischen Glauben und Unglauben ein Widerspruch gegeben ist, d. h. dass sie nicht miteinander vereinbar sind. Das bedeutet, dass der fehlende Glauben jeder Stufe zugleich den Unglauben dieser Stufe beweist.
Es besteht kein Zweifel daran, dass einem Gläubigen, obwohl er einen niedrigstufigen Glauben im Vergleich zum Glauben einer höheren Stufe hat, aufgrund dieses Defizits an höherstufigem Glauben zuweilen Unglaube zugeschrieben wird, und diese Form des Unglaubens ist mit Glauben vereinbar. Dies geht z. B. aus dem zuvor erwähnten Vers hervor, in dem Gott die Gläubigen zu einer höheren Stufe von Glauben eingeladen hat und wonach gesagt wird, dass derjenige, der dieser Einladung nicht folgt, ungläubig ist und sich vom Weg der Glückseligkeit entfernt hat. Hieraus geht deutlich hervor, dass diese Art des Unglaubens im Verhältnis zu der Aussage am Anfang dieses Verses eine Stufe vom Unglauben ist, die nicht im Widerspruch steht zum Prinzip des Glaubens. Aus diesem Grund sehen wir, dass im Unterschied zu anderen Versen, in denen für Unglauben in der Regel vor einem bitteren Schicksal und der göttlichen Bestrafung am Jüngsten Tag gewarnt wird, in diesem Fall als Ergebnis des graduellen Unglaubens in gemäßigten Worten die Entfernung und der Abstand vom Weg der Glückseligkeit angeführt wird. Der Qur’an nennt nur wenige Beispiele und Fälle für die verschiedenen Stufen des Unglaubens. Aber in den Lehren des Propheten des Islam und der religiösen Lehrer gibt es viele Beispiele für die Stufen von Glauben und Unglauben, die nachdrücklich betont werden. So ist vom Propheten des Islam zum Beispiel überliefert, dass er sagte, dass der Glaube zehn Stufen hat und die Gläubigen auf der Grundlage dieser Stufen gruppiert und eingeteilt werden.
Hier wird ein wichtiger Unterschied zwischen „theologischem Glauben und Unglauben“ und „graduellem Glauben und Unglauben“ deutlich. Theologischer Glauben und Unglauben ist aus qur’anischer Sicht ein wahrer und absoluter Begriff, aber gradueller Unglauben ist ein relativer Begriff. Deswegen bedarf die Anwendung dieses Begriffes keines Sinnbildes und keiner Rechtfertigung. Aus qur’anischer Sicht wird jeder, der diese drei Prinzipien, d. h. Glauben an den Schöpfer des Universums, Prophetentum und Auferstehung nicht akzeptiert, als wahrer Ungläubiger bezeichnet.
Aber der graduelle oder begriffliche Unglaube, den man mit absolutem und wahrem Glauben vereinbaren kann, ist ein relativer und sinnbildlicher Unglaube, d. h. seine Anwendung bedarf einer gewissen Symmetrie und Rechtfertigung. Ein Muslim, der an den Qur’an und den Propheten des Islam (s.a.s.) glaubt, kann dennoch mit graduellem Unglauben konfrontiert werden. Wie der Qur’an mit aller Deutlichkeit bestätigt, glauben die Anhänger anderer Religionen an Gott, den Tag der Auferstehung und an einen der göttlichen Propheten; weil sie aber den Propheten des Islam leugnen, kann man ihnen relativen oder graduellen Unglauben vorwerfen. Die Anwendung und der Beweis des relativen und graduellem Unglaubens bedarf in jedem Fall der Erklärung, Rechtfertigung und Symmetrie, und deshalb kann man ihn als einen sinnbildlichen Begriff verstehen. Aus diesem Grund ist die Berücksichtigung dieses Punktes bei der Untersuchung der Begriffe Glauben und Unglauben sehr bedeutsam, und die Beachtung und Genauigkeit dabei verhindert eine Vermischung der verschiedenen und zuweilen sogar vollkommen unterschiedlichen Bedeutungen dieser zwei Begriffe Glauben und Unglauben.
Hier wird deutlich, welche genaue und sorgfältige Untersuchung nötig ist, um zu einem richtigen Verstehen und Wissen von der Botschaft des Qur’an zu gelangen, und wie manche ohne Berücksichtigung der Zustände, Bedingungen und Voraussetzungen dem Islam mühelos bestimmte Dinge vorwerfen.
Ayatollah Seyyed Abbas Hosseini Ghaemmaghami ist islamischer Rechtsgelehrter und Theologe mit Schwerpunkt Islamische Philosophie und Mystik.
Anmerkungen:
Diejenigen habe eine tiefe Kenntnis, die den Qur’an in seiner Gesamtheit verstehen.
Vgl. Sure Àl-ImrÁn, Vers 7.
Vgl. ebd.
Vgl. Sure al-Baqara, Verse 84 und 85.
Sure Àl-ImrÁn, Vers 7.
Sure al-Baqara, Vers 256.
Sure al-Baqara, Vers 28).
Sure an-NisÁ’, Vers 150.
Sure SabÁ’, Vers 3.
Sure al-Baqara, Vers 217.
Sure al-Hashr, Vers 2; Sure al-Bayyina, Verse 1 und 6.
Im Qur’an wird die Undankbarkeit gegenüber den Gnaden Gottes wiederholt als Unglauben bezeichnet, obwohl die in diesen Versen Angesprochenen selbstverständlich die Gläubigen sind (vgl. 2:152, 14:7). In den Worten des Propheten Gottes (Salomo) wird gesagt: Diese Fähigkeit, die ich habe, ist die Gnade von meinem Gott, mit der Er mich prüft, ob ich dankbar bin oder ungläubig werde (d. h. ob ich die Gnade Gottes ignoriere). (27:40). Im Qur’an wird auch die Ablehnung der Hadschzeremonie, die eine der islamischen Pflichten ist, und womit die Muslime angesprochen sind, als Unglauben bezeichnet: Und der Menschen Pflicht gegenüber Allah ist die Pilgerfahrt zum Hause, wer da den Weg zu ihm machen kann. Wer aber ungläubig ist – wahrlich, Allah ist nicht auf die Welten angewiesen. (3:97) Auch im Hinblick auf verpönte und schlechte Taten wird der Begriff Unglauben angewendet. Deswegen heißt es bei der Verteidigung von Hazrate Salomon und dem Beweis, dass er keine Sünde begangen hat: Salomon ist nicht ungläubig geworden, aber diejenigen, die schlechte Taten begangen haben, sind ungläubig geworden. (2:102) Hier wird deutlich, dass in keinem dieser Fälle der Unglauben im Sinne des theologischen Unglaubens verwendet wurde, sondern nur in der allgemeinen Bedeutung von Sünde gebraucht wurde. Deshalb sind bei diesem Thema die Gläubigen angesprochen und folglich ist der Unglaube in dieser Bedeutung mit dem theologischen Glauben vereinbar, denn es besteht die Möglichkeit, dass die Gläubigen auch Sünden begehen. Auch in vielen Überlieferungen vom Propheten des Islam (k) und den religiösen Persönlichkeiten gibt es viele Fälle, in denen das Aufgeben der religiösen Gebote und der Scharia als Unglauben bezeichnet werden, z. B. das Begehen großer Sünden, nicht zu beten, die Pilgerfahrt nicht durchzuführen, Wein zu trinken oder religiös nicht erlaubte Beziehungen zu haben. Für alle diese Fälle wird der Begriff Unglauben verwendet.
Der Qur’an lässt die Gläubigen sprechen: sie erbitten von Gott, dass Er ihre Sünden verzeiht und ihren Unglauben (d. h. ihre schlechten Taten) versteckt und ignoriert und dass Gott ihre Gebete annehmen wird. Und Er gibt ihnen frohe Botschaft: Ich habe ihre schlechten Taten versteckt (3:195). Siehe auch: 47:2; 5:12 und 65; 4:31; 29:7; 39:35; 48:5; 64:9; 65:5; 66:8.
Es soll beachtet werden, dass nicht alle Sünden als Unglauben bezeichnet werden, sondern nur manche Sünden und schlechte Taten; damit sollen die Wichtigkeit dieser Sünden aufgezeigt und die Muslime dazu angehalten werden, sich solcher Sünden zu enthalten. In diesem Kontext s. auch Fußnote 1.
S. Sure al-Baqara, Vers 256.
Vgl. Fußnote Nr. 13.
Im Qur’an wird dem Propheten (s.a.s.) gesagt (13:43): Die Ungläubigen sagen, du bist nicht der Gesandte Gottes. Diesen Vers kann man auf zweierlei Weise erklären. 1. Dass diejenigen, die die Entsendung Mohammads leugnen, Ungläubige sind, d. h. der Unglaube ist hier in seiner wörtlichen Bedeutung, nämlich im Sinne von Leugnung, angewendet worden. Und aus diesem Grund führen wir es hier als ein Beispiel für das Gesagte an. 2. Aber gemäß einer anderen Bedeutung, die genauer erscheint, wird die Leugnung des Propheten des Islam nicht als Unglauben bezeichnet, so dass wir sagen könnten, dieser Unglauben sei Leugnung, sondern die genaue Bedeutung von diesem Vers ist: „Diejenigen, die ungläubig sind, sagen: du bist nicht Gesandter Gottes.“ Deshalb sagt dieser Vers niemals: „Diejenigen, die sagen du bist nicht Gesandter Gottes, sind ungläubig.“ Der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen ist ganz klar. In Bezug auf den theologischen Unglauben sagt der Qur’an mit aller Deutlichkeit, dass der Unglauben zu denjenigen passt, die den Schöpfer des Universums, Seine Propheten und den Tag der Auferstehung in Frage stellen. Aber in diesem Fall gibt es eine solche Deutlichkeit nicht, und selbst wenn eine solche Deutlichkeit gegeben wäre, ist dies unserer Erläuterung zufolge ein Beispiel für den Gebrauch von Unglauben in seiner wortwörtlichen Bedeutung, d. h. „leugnen“.
Sure an-Nisa, Vers 136.
Zum besseren Verständnis dieser Sache kann man den Begriff „Abstufung“ in der islamischen Philosophie zu Hilfe nehmen.
Wenn ein Phänomen von seiner Substanz und seinem Wesen her einheitlich ist, es davon aber unterschiedliche Erscheinungsformen gibt, dann wird der Unterschied zwischen den Beispielen und Erscheinungen als graduelle Unterschiedlichkeit oder unterschiedliche Abstufung bezeichnet, wie z. B. das Licht der Sonne, das eine einheitliche und gleiche Wahrheit ist. Je nach Stärke und Schwäche dieses Lichtes wird es unterschiedlich erscheinen, wenngleich es in Wahrheit im Prinzip des Lichtseins gleich ist. Aber die Erscheinungsstufen des Lichtes sind unterschiedlich.
Auch den Glauben kann man als eine Wahrheit vorstellen, wonach jeder, der diese Wahrheit kennt, gläubig ist; alle Gläubigen haben diese Gemeinsamkeit, aber die Stärke bzw. Schwäche des Glaubens ist bei ihnen unterschiedlich. Zweifellos verursacht diese Stärke und Schwäche im Prinzip des Glaubens keine Veränderungen, aber die Abstufung ist unterschiedlich. Manchmal wird diese graduelle Abstufung mit dem Begriff Unglauben bezeichnet, aber niemals darf dieser Unglaube als theologischer Unglaube verstanden werden. Im Qur’an wird in einem Fall zwischen Islam und Glauben differenziert. D. h. zu denjenigen, die theologisch glauben, aber kein gläubiges Verhalten haben, wird gesagt, dass solange der Glauben nicht in ihrem tiefen Wesen verankert ist, sie nicht gläubig sind; sie können jedoch sagen, dass sie den Islam angenommen haben. „Und sie glauben an Gott und Seinen Propheten.“ (49:14). Hier werden unterschiedliche Stufen von Glauben aufgezeigt, und eine Art von Glauben, der nicht in der Tat praktiziert wird, wird nicht als Glauben bezeichnet.
Im Zusammenhang mit der Argumentation der äußeren Bedeutung dieses Verses kann man das so erklären, dass diejenigen, deren Glauben nicht die entsprechende Tiefe hat, auf dem Weg der Vervollkommnung und Leitung sind, weil sie glauben; aber weil ihr Glauben nicht die entsprechende Tiefe hat, besteht die Gefahr, dass sie von diesem Weg abweichen, und Gott hat diese Gefahr für die Gläubigen erwähnt.
Wie vom Propheten des Islam (s.a.s.) erzählt wird, war SalmÁn auf der neunten Stufe des Glaubens und Abu ©arr auf einer niedrigeren Glaubensstufe.
In der Wissenschaft der Eloquenz wird der Begriff „Wahrheit“ für diejenigen Begriffe verwendet, die in ihrer wörtlichen Bedeutung verwendet werden, und sie müssen nicht erläutert werden.
Aber Sinnbilder sind Begrifflichkeiten, aus denen eine andere Bedeutung hervorgeht und die der Erklärung bedürfen, wie wenn man z. B. einen tapferen Menschen als „Löwe“ bezeichnet.
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