Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

Man kann Prophet Mohammad mit vielen guten Eigenschaften beschreiben, und vielleicht ist sein wichtigstes und bedeutendstes Merkmal, dass man ihn nicht mit einer einzigen guten Eigenschaft beschreiben kann. Die Vervollkommnung des Menschen ist das Ergebnis und die Auswirkung einer Vielzahl besonderer positiver Eigenschaften, und der Mensch kann mit nur einer einzigen angesehenen Eigenschaft niemals den idealen Punkt der Vervollkommnung erreichen. Wenn wir davon ausgehen, dass eine einzige Eigenschaft den Menschen vorstellen und sozusagen die Vervollkommnung des idealen Menschen sein soll, dann kann diese Eigenschaft nichts anderes sein als Vollkommenheit und Ebenmaß, d. h. dass man eine Menge von angesehenen Eigenschaften, die zum Gleichgewicht des Menschen führen, in sich verwirklicht hat.

 

Demut ist die angesehenste besondere Eigenschaft des Menschen. Kann diese Eigenschaft ein Garant für das Erreichen von Vervollkommnung sein? Kann man Demut aufgrund von Schwäche und Unfähigkeit als Wert und Tugend ansehen? Oder kann man Demut als Wert und Tugend ansehen, wenn sie die Diskriminierung des Menschen und die Verneinung seiner Würde und Persönlichkeit verursacht? Auch Tapferkeit ist eine der angesehensten menschlichen Eigenschaften. Aber können wir die Tapferkeit allein als einen Wert und eine Tugend im Menschen anerkennen und die anderen menschlichen Eigenschaften ignorieren? Mut, der auf Irrationalität und Gewalttätigkeit basiert, ist ebenfalls ein Produkt der Tapferkeit; kann man diese Eigenschaft alleine also als menschlichen Wert annehmen? Das Urteil über andere menschliche Werte und Tugenden fällt gleichermaßen aus. Deshalb ist ein idealer Mensch, wer alle angesehenen Eigenschaften in ausgewogenem Maße in sich hat und nicht nur eine dieser Eigenschaften alleine. Anders gesagt ist der ideale Mensch ein Mensch mit innerem Gleichgewicht, d. h. ein Mensch, der es geschafft hat, eine Vielzahl von Werten und menschlichen ethischen Tugenden in einem harmonischen Gleichgewicht zu verinnerlichen. Seine internalisierten Eigenschaften und Werte bewirken einen Gleichklang und friedlichen Umgang mit sich selbst. Aus diesem Grund darf man niemals nur eine von den vielen Dimensionen der Persönlichkeit und des Lebens eines idealen Menschen als Maßstab für die Kenntnis und ein Urteil über ihn heranziehen, sondern dafür bedarf es einer umfassenden und vielseitigen Kenntnis von allen Dimensionen der spezifischen Persönlichkeit und des Lebenswandels dieses Menschen.

Diejenigen, die mit der Lebensweise und dem Leben von Prophet Mohammad vertraut sind, haben ihn mit guten Eigenschaften gewürdigt. Unter diesen guten Eigenschaften sind einige Eigenschaften, die ihn deutlicher beschreiben als andere. Der vollkommene Mensch ist eine von diesen Eigenschaften, d. h. er hat die ideale Vervollkommnung des Menschen erreicht. Der vollkommene Mensch ist das Ergebnis aller guten, schönen und vollendeten Eigenschaften des Menschen.

Grundsätzlich bestehen das besondere Merkmal und die Kunst des Menschen darin, dass er gute Eigenschaften in Gleichgewicht und Harmonie bringen kann, und das ist eine der wichtigsten Lehren von Prophet Mohammad. Das ist zugleich auch das Geheimnis von der Kenntnis der Persönlichkeit des letzten göttlichen Gesandten, eines Gesandten Gottes, der auf alle Dimensionen der Persönlichkeit, Bedürfnisse und natürlichen Rechte des Menschen eine Antwort geben kann. Er betont die Freiheit als menschliche Substanz und verpflichtet gleichzeitig alle, die Rechte der anderen zu berücksichtigen. Die Freundschaft und enge Beziehung zu den Menschen und zu Gott führt an einen Punkt, über den hinaus keine engere Beziehung vorstellbar ist. Er stellt den Menschen als Stellvertreter Gottes vor, der alle göttlichen Eigenschaften haben kann und der zu Gott keinen Abstand hat. Diese Stellung sieht er als geeignet an für den Menschen, der den menschlichen Werten und der menschlichen Substanz treu bleibt, aber nicht für jemanden, dessen Menschlichkeit auf eine Bezeichnung und äußere Erscheinung beschränkt ist und keine ethischen und menschlichen Werten in sich birgt. Im letzteren Fall mahnt Mohammad diese äußere Gestalt des Menschen vor göttlicher Bestrafung, um damit im Menschen das Streben nach und Festhalten an Menschlichkeit und Rückkehr zu menschlichen Werten lebendig und aktiv zu erhalten.

Schon bevor er zum Propheten berufen wurde, hat Mohammad in der damaligen Gesellschaft der Arabischen Halbinsel, in der List, Betrug und Gewalt an der Tagesordnung waren und die Menschen nicht einmal den nächsten Verwandten vertrauten, aufgrund seiner guten Eigenschaften, wie z. B. Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, das Vertrauen aller gewonnen. Deshalb war er als „Mohammad al-amÍn“, d. h. „Mohammad, der Vertrauenswürdige und Zuverlässige“ bekannt. Auch Gott hat ihn im Qur’an für seine großartigen moralischen Eigenschaften geehrt: „Und du verfügst wahrlich über großartige Tugendeigenschaften.“ (Sure al-Qalam, Vers 4). Er selbst hat sein Ziel und sein Prophetentum als Vervollständigung der moralischen Werte vorgestellt: „Wahrlich ich wurde entsandt, um die Moral zu vervollkommnen.“

Bedauerlicherweise gibt es keine zuverlässigen deutschsprachigen Quellen über die Lebensweise des Propheten des Islam und seine wahre Persönlichkeit, und das ist der Grund, warum Prophet Mohammad 1500 Jahre später in der Welt, und insbesondere in der westlichen Welt, zwar bekannt aber nicht erkannt ist. Er selbst hat als Ziel seines Prophetentums die Vervollkommnung der moralischen Werte genannt, die in der damaligen materialistischen Gesellschaft und auch im Laufe der Geschichte die größte Gabe und Botschaft für die Menschheit war. Deshalb wird Mohammad als der Prophet der Moral bezeichnet. In einer unmoralischen und materialistischen Gesellschaft werden bestenfalls Gesetz und Recht die Unordnung und den Aufstand der Menschen im Streben nach Mehr, das aus ihrem Inneren hervorgeht, kontrollieren. In einer moralischen Gesellschaft hingegen wird das Innere des Menschen und sein Streben nach Mehr kontrolliert und ihm deutlich gemacht, dass auch die anderen Rechte haben. Mohammad hat mit seinen guten Eigenschaften viele Menschen begeistert, und sein Name bedeutet „hochgepriesen“. Er selbst hat jedoch niemals erlaubt, in eine übertriebene Begeisterung zu verfallen oder in ihm eine Art „Supermensch“ zu sehen. Das Endziel der Vervollkommnung sah er im wahren Menschsein, und er lehrte, dass der Abstand zwischen Gott und Mensch sogar verschwinden kann, wenn der Mensch ein wahrhaftiger Mensch ist. Gott fordert ihn im Qur’an wiederholt auf, den Menschen zu verdeutlichen: „Ich bin nur ein Mensch wie ihr“ (Sure al-Kahf, Vers 110), wie auch der Qur’an sagt: „Ihre Gesandten sagten zu ihnen: ‚Wir sind nur Menschen wie ihr’…“ (Sure Ibrahim, Vers 11). Eben diese Betonung Mohammads auf die menschlichen Werte einerseits und sich andererseits jeder Form von Übertreibung seitens seiner Anhänger fernzuhalten, haben bewirkt, dass ungeachtet aller Abweichungen, die es in allen Religionen und Konfessionen im Laufe der Geschichte gegeben hat, im Islam bis heute kein Mensch und keine Gruppe sich erdreistet, Mohammad einen übermenschlichen Status oder eine Art „göttlichen“ Status zuzuschreiben. „Ich bin der Diener und Gesandte Gottes, und ich verlange von meinen Anhängern, mich nicht als etwas Übermenschliches anzusehen.“ (Sahih Muslim, Hadid 529). Mohammad war ein Mensch - ein vollkommener Mensch -, und sein Lebenswandel ist eine Rechtleitung für die Vervollkommnung eines jeden Menschen, der diese erstrebt, wie Gott im Qur’an sagt: „Wahrlich, ihr habt am Gesandten Gottes ein schönes Vorbild…“ (Sure al-Ahzab, Vers 21).

„…Und was euch der Gesandte gibt, das nehmt an; und was er euch untersagt, dessen enthaltet euch…“ (Sure a-Haschr, Vers 7). 

Die Gestalt des Propheten


Der Gesandte Gottes erschien jedem, der ihn gesehen hat, als großartig und freundlich. Er war aus der Sicht eines jeden Menschen liebenswert und geschätzt. Er war weder dünn noch dick, seine Augen waren groß und schwarz, und er hatte insgesamt gesehen eine harmonische Erscheinung. Er war durchschnittlich groß, seine Augenbrauen waren zusammengewachsen, und er hatte hohe Wangenknochen. Lange Wimpern, ein voller Bart, lange Haare, leuchtend weiße Zähne, die etwas auseinander standen, und ein rundes Gesicht gehörten zu seinen Merkmalen. Er war ziemlich kräftig, hatte breite Schultern und ging stets sehr ruhig und gelassen. Beim Gehen richtete er den Blick immer nach vorne, und sein Gang war sehr beschaulich. Seine Gegenwart war für die anderen Menschen stets sehr angenehm und geschätzt. Wenn er irgendwo vorbei ging, hing der Duft seines Parfüms in der Luft, und so wusste jeder, dass er vorbeigegangen sein musste. Seine Augenbrauen waren geschwungen, sein Mund war durchschnittlich groß und niemals starrte er jemanden an, sondern schenkte ihm flüchtige Blicke. Wenn er jemanden sah, grüßte er sogleich. Er schien immer in Gedanken versunken zu sein; oft schwieg er und ergriff nur das Wort, wenn es nötig war. Seine Rede brachte er stets voller Ruhe vor, und auch wenn er nur wenige Worte sprach, so war seine Rede doch vollständig. Er hatte ein nettes Wesen und behandelte niemanden ungerecht, noch schaute er herablassend auf andere. Jede noch so geringe Gnade erschien ihm groß. Jedes Essen nahm er dankbar an und kommentierte es mit Höflichkeiten. Eigene Unannehmlichkeiten haben ihn niemals wütend gemacht, aber wurde er Zeuge einer Ungerechtigkeit, wurde er sehr zornig. Bei der Verteidigung der Gerechtigkeit kannte er keine Angst vor nichts und niemandem. Beim Reden faltete er seine Hände, und wenn er jemanden bestraften musste, wandte er sich erbost ab. Auf seinem Gesicht war immer ein Lächeln zu sehen. Wenn er nach Hause ging, unterteilte er seine Zeit in drei Abschnitte: ein Teil war der Anbetung und dem Gebet vorenthalten, einen Teil widmete er seiner Familie, und der dritte Teil war für sich selbst, in dem er sich mit den Angelegenheiten der Menschen beschäftigt hat. 

Er hat jeden gemäß dessen Wissen von der Religion und Moral geehrt. Er hat jede gute Tat belohnt und begrüßt und jede schlechte Tat verurteilt. In allen Lebensbereichen übte er Mäßigkeit und orientierte sich am goldenen Mittelweg. Er hat nie an einer Zusammenkunft teilgenommen, ohne dabei an Gott zu denken. Wenn er zu einer Versammlung kam, setzte er sich an den ersten freien Platz und beanspruchte keinen besonderen oder bestimmten Platz für sich. Freundlichkeit und Ruhe bestimmten sein Verhalten, und drei Eigenschaften hat er stets vermieden: Streitigkeiten, überflüssiges Gerede, andere zu tadeln, deren Fehler zu suchen und aufzuzeigen. Er sprach mit angenehmer Stimme und fesselte das Interesse der Zuhörer. Er sagte gewöhnlich: Ich bin gekommen, um die Moral zu zeigen. Sein Verhalten war das beste Verhalten, und er gehörte zu den tapfersten und freigiebigsten Menschen. Er hatte ein eher beschauliches Wesen, und man konnte ihm anmerken, wenn ihm etwas missfiel oder er es ablehnte. Er war ruhig und hat immer gesagt: „Die Geduld ist im Verhältnis zum Glauben wie der Kopf zum Körper.“ Die materiellen Dinge dieser Welt reizten ihn nicht, und wen Gott zum Feind erklärte, den erklärte auch er zu seinem Feind. Was Gott als nichtig erklärte, das sah auch er als nichtig an, d. h. mit seinem innersten Herzen war er fern vom Diesseits und hatte keinerlei Interesse daran. Auf das Diesseits gerichtete Gedanken fanden in seinem Herzen und Wesen keinen Platz.

Im Gebet fürchtete er Gott so sehr, dass er mit seinen Tränen seinen Gebetsteppich tränkte, obwohl er keine Sünde begangen hatte. Er war großzügiger als alle anderen Menschen, aufrichtig und treu. Wenn es um diesseitige Angelegenheiten des Lebens ging, erfassten ihn weder Angst noch Unruhe. Er hat sich zu den Bedürftigen gesellt und mit ihnen gegessen, den Wissenden erwies er besondere Achtung, und pflegte Umgang mit den Menschen, die einen guten Ruf genossen. Zu allen war er gütig und verbrachte keinen Augenblick seines Lebens nutzlos, sondern nutzte jede Gelegenheit als ein wahrer Diener Gottes. Es dauerte länger als bei den meisten Menschen, bis er zornig wurde, und schneller als die meisten wurde er auch zufrieden gestellt. Er war stets freundlich, meinte es mit allen Menschen gut und unterstützte sie. Ernsthaftigkeit prägte sein Wirken, und jeden, dem er begegnete, grüßte er, ungeachtet ob jener arm oder reich, klein oder groß war.

Er hat immer betont, dass jemand, der sein Haus verlässt, um seinen Bruder zu besuchen, sich dafür vorbereiten und sich schön machen soll, und das hat er selbst auch getan. Vollständigkeit und auch Behändigkeit kennzeichneten seine Gebete. Nie hat jemand von ihm etwas erbeten, was er verweigert hätte. Niemals hat er jemandem etwas gesagt, das diesem missfallen oder ihn beleidigt hätte. Mit Achtung und Respekt begegnete er allen Menschen und stellte sie damit zufrieden. Er lehnte es ab, dass andere sich erhoben, wenn er einen Raum betrat, und war für seine Vertrauenswürdigkeit und seine Verlässlichkeit bei Versprechen bekannt. Seine Kleidung war größtenteils weiß, und für seinen Lieblingsduft, Moschusparfüm, gab er mehr aus als für seine Nahrung. Er war der erste, der mit dem Essen begann, und der letzte, der damit aufgehört hat, denn er wollte, dass seine Gäste das Essen in Ruhe genießen sollten, und er hat sich niemals über das Essen beschwert.

Den Trauernden sprach er sein Beileid aus, Kranken stattete er Besuche ab, und auch an Beerdigungen hat er teilgenommen. Vor jedem Gebet putzte er seine Zähne, und die Anzahl seiner zusätzlich verrichteten empfohlenen Gebete war doppelt so hoch wie die Anzahl der Pflichtgebete. Mit Ungeduld erwartete er die Gebetszeit und achtete auf deren Einhaltung, denn nichts war wichtiger als das Gebet. Wenn es zu regnen begann, stellte er sich in den Regen, damit seine Haare und sein Bart nass wurden. Er erklärte die Verrichtung von zwei Gebetseinheiten bei der Morgendämmerung für sich selbst als wertvoller als das Diesseits und das Jenseits. An jedem ersten Donnerstag eines Monats, an jedem Mittwoch in der Monatsmitte und an jedem letzten Donnerstag eines Monats fastete er, und er erklärte, wenn jemand so faste, sei es, als habe er sein Leben lang gefastet. Wenn er traurig war, fand er Ruhe im Gebet und Fasten, und er hat Gott um Verzeihung gebeten. Niemals hat er einen Bettler abgewiesen; wenn er etwas zu geben hatte, gab er es weg, und wenn er nichts hatte, dann wünschte er dem Bittenden, dass Gott ihm geben möge.

Wahres Menschsein, so erklärte er, zeige sich im Verzeihen für denjenigen, der ungerecht zu uns war. Nichts war für ihn wichtiger als die Qur’anrezitation, und beim Bittgebet erhob er seine Hände gen Himmel. Er hat sich nicht gesetzt und ist nicht aufgestanden, ohne an Gott zu denken. Alle rassischen und ethnischen Vorurteile hat er für ungültig erklärt, und zwischen zwei Menschen niemals einen Unterschied gemacht. Muslime und Nichtmuslime hatten in seiner Sicht die gleichen Rechte. Als er einmal am Begräbnis eines Juden teilnahm, beklagten sich seine Gefährten, weil der Tote doch Jude gewesen war. Und der Prophet antwortete ihnen: „Er war kein Muslim, aber war er denn kein Mensch?“ Immer wieder hat er betont, dass sich kein Mensch über andere Menschen stellen darf. Alle Menschen, gleich welcher Rasse oder ethnischen Abstammung sie angehören, haben alle einen Vater und eine Mutter, nämlich Adam und Eva, und alle sind gleich.

Güte gegenüber den anderen hat er als das höchste Gebet angesehen, und empfohlen, dass man den anderen Menschen Freude bereiten soll, auch wenn es nur durch das Verschenken einer Dattel sei. Er hat die Menschen aufgefordert, zu verzeihen, und wenn er selbst von jemandem schlecht behandelt wurde, begegnete er diesem dennoch mit Güte und Gnade. Auf seinem täglichen Weg warf stets jemand heiße Asche auf ihn. Aber er wurde nicht zornig, und obwohl er wusste, dass diese Person ihre Tat wiederholen würde, schlug er dennoch immer den gleichen Weg ein. Bis er eines Tages seinen gewohnten Weg ging, ohne dass er mit Asche beworfen wurde. Als er erfuhr, dass jene Person erkrankt war, stattete er ihr mit seinen Gefährten einen Krankenbesuch ab. Die Freundlichkeit, Ehrlichkeit und Großherzigkeit des Propheten beschämten diesen Menschen zutiefst, und er entschuldigte sich beim Propheten für sein ungebührliches Verhalten. Der Prophet empfand niemals Feindschaft für jemanden oder hegte Rachegedanken, sondern er hat das Verzeihen stets der Vergeltung vorgezogen. Selbst als sein Onkel Hamza auf brutalste Weise getötet und sein Körper zerstückelt wurde, war er, obwohl er seinen Onkel sehr geliebt hatte, dennoch betroffen, als er vom Tod des Mörders seines Onkels erfuhr. Niemals war zu hören oder zu sehen, dass er an denjenigen, die ihn beleidigt haben oder böse zu ihm, waren Rache genommen hat und er sie bestrafen wollte. Immer hatte er diesen Vers des Qur’an vor Augen: „…weil sie das Böse durch das Gute abwehrten“ (Sure al-Qasas, Vers 54) und damit die Wurzel des Bösen beseitigt. Aber er verhalf der Gerechtigkeit stets zum Sieg, wenn jemand die Grenzen der Gesellschaft missachtete, die Rechte der anderen verletzte und die Sicherheit der Gesellschaft gefährdete, denn er konnte für sich nicht das Recht in Anspruch nehmen, zuzulassen, dass andere die Rechte der Gesellschaft missachteten. Da er den individuellen und kollektiven Rechten der Menschen viel Achtung entgegenbrachte, sah er in der Praktizierung von Gerechtigkeit die einzige Möglichkeit für die Bewahrung und Pflege der Rechte.

Hier wird deutlich, dass wir uns nochmals von Anfang an mit dem Lebenswandel und der Lebensweise des Propheten beschäftigen und ihn kennen lernen müssen, eines Propheten, der nicht nur unter Nichtmuslimen unbekannt geblieben ist, sondern auch unter den Muslimen unbekannt ist. Die Sunna des Propheten ist nach dem Qur’an die wichtigste und höchste Richtschnur für uns Muslime. Aber man muss diese Sunna gut kennen und von jeder Art der persönlichen Interpretation fernhalten, damit man sie auch gut praktizieren kann. Die Botschaft des Gesandten Gottes ist die moralische Großartigkeit, d. h. etwas, was vollkommener und erhabener ist als die gewöhnlichen moralischen Werte.


Die Berufung des Propheten


Über die Gerechtigkeit als der wichtigsten islamischen Lehre, und die Gerechtigkeit des Propheten des Islam wurde sehr viel gesprochen und geschrieben, und zuweilen wurde in übertriebener Manier und im Gegensatz zur Wirklichkeit die Gerechtigkeit sogar als die einzige Lehre des Islam und der Propheten bezeichnet.

Sicherlich ist die Gerechtigkeit im Sinne der Verpflichtung zu gleichen Rechten für alle Menschen in der Gesellschaft eine der wichtigsten und essentiellen Ideen, die der Islam nachdrücklich betont, was sich im Verhalten und Leben des Propheten manifestiert. Aber im rechtlichen und ethischen System des Islam, dessen Lehrer der Prophet ist, gibt es ein Wertprinzip, das noch ein wenig höher anzusiedeln ist als die Gerechtigkeit, und zwar das Prinzip des Gleichgewichts und der Harmonie. Wenn wir von der Natur des Gleichgewichts und der Harmonie in einem Phänomen sprechen, stellen wir sehr schnell fest, dass dieses Phänomen ein komplexes Wesen und vielfältige Dimensionen aufweist. Die Persönlichkeit des Menschen besteht aus einer Vielzahl von Eigenschaften und Vollkommenheiten. Der Mensch als eindimensionale Persönlichkeit ist unvorstellbar. Vielmehr ist ein vollkommener idealer Mensch derjenige, der eine Vielfalt an guten und vollkommenen Eigenschaften in sich birgt; und die alleinige Ursache dafür, dass das Individuum eine Vielfalt an menschlichen Vollkommenheiten und Schönheiten in sich vereint und verinnerlicht hat, ist das Prinzip des Gleichgewichts und der Harmonie.

Jede vortreffliche und gute Eigenschaft begrenzt und behindert die anderen vollkommenen Eigenschaften im Menschen und schmälert letztlich deren Schönheit, wenn sie die Verwirklichung anderer ausgezeichneter Eigenschaften verhindert. Deshalb wird die Schönheit einer jeden guten Tat und Eigenschaft genau in dem Moment verwirklicht, in dem sie mit der Gesamtheit harmoniert. Dies ist vergleichbar mit einem schönen Gemälde, dessen Schönheit letztlich auf der stilvollen Benutzung der Farbenvielfalt basiert. Es entspricht dem Prinzip des Gleichgewichts und der Harmonie, das der Islam in einem rechtlichen und ethischen Prozess besonders beachtet. Aus islamischer Sicht steht die Schönheit und Vollkommenheit einer jeden Sache im Zusammenhang mit dem Gleichgewicht und der Harmonie, und dies trifft z. B. auch auf das Individuum und die Gesellschaft zu. Gleichgewicht impliziert ein ausgeglichenes Maß an allen angenehmen und guten Elementen.

Gerechtigkeit als Wert und gesellschaftliches Phänomen ist eine der guten Eigenschaften, zu der man verpflichtet ist, und die bei der Bildung der Persönlichkeit des idealen Menschen wirksam ist. Aber das ist nicht die einzige Eigenschaft oder der alleinige Vorzug des Menschen. Wichtiger als die Gerechtigkeit ist das Gleichgewicht, und weil diese beiden Begriffe in der arabischen Sprache die gleiche Wurzel haben und oft gemeinsam benutzt werden, wurden sie oft miteinander verwechselt.

Viele Betonungen auf das Gleichgewicht und die Berücksichtigung des Prinzips der Gerechtigkeit in der islamischen Lehre gründen in einer Interpretation der Gerechtigkeit als einem rechtlichen, gesellschaftlichen Begriff. Wenn mit dem Begriff der Gerechtigkeit gemeint ist, dass in einem System als rechtliche und offizielle Verpflichtung die Berücksichtigung der Rechte der Menschen in der Gesellschaft betont wird, dann gewinnt die Schönheit und Vollkommenheit der Gerechtigkeit im Vergleich zu den anderen Schönheiten und Vollkommenheiten der menschlichen Persönlichkeit an Bedeutung. Aus diesem Grund besteht die besondere Kunst des idealen vollkommenen Menschen darin, dass er unter Berücksichtung der Verpflichtung zur Gerechtigkeit dies zur Grundlage seines Umgangs mit den anderen Menschen macht und folglich einen Schritt weiter geht und über die rechtlichen offiziellen Notwendigkeiten hinaussieht. Der Prophet des Islam hat als Absicht und wesentliche Philosophie seiner Mission die Verwirklichung der höchsten moralischen Werte und Eigenschaften und die Beseitigung der Mängel genannt: „Wahrlich, ich wurde entsandt, um die moralischen Schönheiten und Weisheiten zu vervollkommnen.“

Wenn wir bedenken, in welchem Maße sich die menschliche Gesellschaft vor 1500 Jahren Ungerechtigkeit und moralischer Dekadenz gegenübersah, können wir die besondere Bedeutung dieses Ausspruches besser verstehen. Der Prophet des Islam hat im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen die Berücksichtigung der Gerechtigkeit sehr hervorgehoben. Wie bereits erwähnt, bedeutet Gerechtigkeit einfach definiert, dass allen Menschen die gleichen Rechte gebühren. Natürlich stellt jede Beeinträchtigung der Rechte der anderen ein ungerechtes Verhalten dar, und der Prophet hat dieses Verhalten verneint. Wird das Recht eines Menschen beeinträchtigt, hat dieser das Recht, das Gleiche zu tun. Das entspricht dem Verständnis von Gerechtigkeit.

Doch das war nicht die alleinige Botschaft des Propheten, sondern es ist vielmehr ein allgemeines moralisches Prinzip; was er betont und als wichtigste Achse seiner Rechtleitung und seines Prophetentums geformt hat, war die Bekanntmachung und Verbreitung der Freundlichkeit. Im Qur’an, dessen Botschafter der Prophet des Islam ist, wird sehr deutlich gesagt, dass die Menschen das Böse mit dem Guten abwehren sollen (vgl. Qur’an, Sure ar-Ra`d, Vers 22). Äußerlich mag dieses Gebot als widersprüchlich zum Prinzip der Gerechtigkeit erscheinen, das das Recht der Vergeltung für denjenigen, der ungerecht behandelt wurde, zulässt. Aber im rechtlichen und moralischen System des Islam ist dieser Widerspruch vollkommen unbegründet und beigelegt.

Die Betonung des Propheten des Islam auf Gerechtigkeit findet auf zwei Ebenen, d. h. der gesellschaftlichen und der individuellen Ebene statt. Auf der individuellen Ebene wird der einzelne Mensch angesprochen, und er wird aufgefordert, die Rechte der anderen zu berücksichtigen und die Grenzen nicht zu überschreiten. Grundsätzlich neigt und strebt jeder Mensch nach mehr, aber wenn dieses Streben nicht kontrolliert wird, resultieren daraus gesellschaftliches Chaos und Unruhe. Wenn ein Individuum für sich mehr Rechte beansprucht, als er anderen zuspricht, wird er sich natürlich darum bemühen, mehr Rechte zu erlangen. Der Islam kontrolliert dieses Gefühl im Menschen von vornherein und stärkt die Absicht des Individuums, auf seine Rechte zugunsten der Rechte der anderen zu verzichten. Dies geht soweit, dass der Prophet des Islam sagte, dass diejenigen, die das Recht der anderen über die eigenen Rechte erheben, belohnt werden. „Die Barmherzigkeit Gottes wird derjenige erlangen, der seine Grenzen und Rechte kennt und diese nicht überschreitet.“

Aber andererseits wird im Hinblick auf das Gleichgewicht im Menschen ein anderes Prinzip erwähnt, und zwar dass man darum bemüht sein muss, die Rechte der anderen nicht zu beeinträchtigen oder zu missachten; und sollte einem Unrecht widerfahren, sollte man auf eine entsprechende Vergeltung verzichten, und ganz im Gegenteil dazu Freundlichkeit walten lassen und die schlechte Tat von anderen mit Güte und einer guten Tat beantworten. Das Ergebnis dieser großen und wichtigen moralischen Lehre ist, dass alle Menschen zu Freundlichkeit aufgerufen werden und alle Menschen lernen, dass sie auf der Basis der Freundlichkeit miteinander umgehen und förmliche rechtliche Vorschriften und Prinzipien zur Grundlage ihrer Beziehungen machen. Denn solange man selbst anderen gegenüber keine freundliche Einstellung hegt, wird man nicht in der Lage sein, seine falschen Taten und Sünden zu unterlassen, sondern weiterhin versuchen, von seinem Recht gegenüber den anderen Gebrauch zu machen. Aus diesem Grund manifestiert sich Freundlichkeit nicht nur im Verzicht, sondern in der Motivation zu guten Taten als Antwort auf schlechte Taten.

Ein anderes Ergebnis dieser großen Lehre des Propheten des Islam besteht darin, dass die Menschen davon lernen können, dass sie aufgrund ihrer eigenen Freundlichkeit gegenüber den anderen nicht die Erwartung und den Anspruch haben können, dass ihnen ihr Verhalten mit gleichem beantwortet wird. Diese Art der Freundlichkeit ist eine Freundlichkeit ohne Erwartungshaltung. Wenn ich für die Freundlichkeit, die ich anderen erweise, niemals eine Gegenleistung erwarte, wird mein Verhalten immer auf Freundlichkeit basieren und ein kontinuierliches und dauerhaftes Verhalten sein, und unfreundliche Antworten und unpassendes Verhalten von anderen wird mich von diesem Verhalten nicht abbringen.

Die Gerechtigkeit im Bereich der gesellschaftlichen Beziehungen, die der Prophet des Islam sehr betonte, steht jedoch nicht im Widerspruch zu dieser allgemeinen Freundlichkeit, denn das Missachten der Gerechtigkeit ist eine gegen die Gesellschaft gerichtete Tat. Wenn eine kriminelle Tat eines Menschen seitens der Gesellschaft unbeantwortet bleibt und der Gerechtigkeit und dem Gesetz nicht Genüge getan wird, wird dies nur Gleichgültigkeit gegenüber der Existenz der Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Die fehlende Umsetzung von Gerechtigkeit würde diesen Straftäter in seinem Tun stärken und ihn zur Fortsetzung seines Weges ermutigen. Selbst jene Theorien, die die Bedeutung des Individuums besonders hervorheben, werden ihm nicht das Recht zugestehen, gegen gesellschaftliches Recht zu verstoßen.

In einem umfassenderen Kontext gesehen kann die Verwirklichung der Gerechtigkeit angesichts eines Verstoßes eines Menschen gegen die Rechte der Gesellschaft für dieses Individuum sehr nützlich und konstruktiv sein, weil er dadurch lernt, dass er auf seine individuellen Rechte verzichten und die gesellschaftlichen Rechte nutzen und die kollektiven Rechte seinen individuellen Rechten vorziehen kann. Dies versteht der Islam unter dem Prinzip der Gerechtigkeit, d. h. die Betonung auf die Gerechtigkeit, die es in den heiligen islamischen Schriften gibt, bezieht sich grundsätzlich auf die gesellschaftlichen Rechte. Abgesehen davon wird den Menschen empfohlen, gegenüber den anderen auf ihr Recht zu verzichten und davon abzusehen, genau wie die anderen zu reagieren.

Das Leben des Propheten Mohammad ist voll von solchen Lehren der Freundlichkeit gegenüber den anderen, des Verzichts auf sein individuelles Recht und des guten Verhaltens gegenüber denjenigen, die sich ihm gegenüber schlecht benommen haben. Eine der wichtigsten Lehren des Propheten, die wir heute in Form eines Gedichtes des großen persischen Dichters Saadi Schirazi über dem Eingang der UNO lesen können, stellt ein Zeichen des Stolzes für die Muslime dar. Es lautet:

 

Alle Menschen unabhängig von Religion, Nationalität, Sprache und Farbe sind wie die Glieder eines Körpers. Wenn ein Körperteil Schmerzen leidet, werden auch andere Körperteile Schmerzen bekommen, und wenn ein Teil der Menschheit Schmerzen und Probleme hat, werden gleichermaßen andere Teile der menschlichen Gesellschaft mitempfinden.


Die Bedeutung von Recht und Ethik in der Gesellschaft


Im Denken des heutigen Menschen und in der modernen Zeit kommt dem Recht ein besonderer Stellenwert zu, und die Betonung des Rechts ist ein wesentlicher Wert dieser Epoche der menschlichen Gesellschaft. Die universale Deklaration der Menschenrechte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt die wichtige Bedeutung dieser Angelegenheit aus der Sicht der heutigen Welt und verdeutlicht zugleich das höchste Ziel und Ideal, das die Weltgesellschaft erstrebt. Kurz gesagt kann man feststellen, dass die Berücksichtigung der Menschenrechte das größte Ideal und Ziel der heutigen Welt ist, d. h. die Gestaltung einer vom Recht geprägten Gesellschaft. Wenn wir von Recht reden, müssen wir notwendigerweise auch von Pflichten reden, denn aus den Rechten eines jeden Menschen resultieren Pflichten, die im Hinblick auf die anderen berücksichtigt und geachtet werden müssen.

Die Gleichheit der Rechte für alle und die Erwartung, dass alle diese Rechte berücksichtigen, sind zwei Hauptelemente des Gerechtigkeitsbegriffes. Deshalb ist ein Rechtsstaat, d. h. eine Gesellschaft, in der das Recht aller Gruppierungen und Schichten berücksichtigt wird, eine gerechte Gesellschaft, und zweifellos ist die Etablierung von Gerechtigkeit und die Schaffung einer solchen gerechten Gesellschaft eines der wichtigsten Ziele und einer der größten Wünsche der Menschen. Die Bildung einer solchen Gesellschaft, in der Gerechtigkeit herrscht und in der für alle gleiche Rechte gelten, ist die wichtigste Aufgabe aller göttlichen Propheten, und auch Prophet Mohammad hat sich für die Fortsetzung dieser göttlichen Aufgabe engagiert. In einem ersten Schritt hat er versucht, den frevelhaften Geist und die Gier des Menschen zu Gerechtigkeit aufzurufen und hat eine gerechte Gesellschaft begründet. In diesem Sinne heißt es im Qur’an auch in aller Deutlichkeit (vgl. Sure asch-Schura, Vers 15), dass dem Propheten geboten wurde, gerecht zwischen den Menschen zu richten.

Aber es bleibt die wichtige Frage, ob Gerechtigkeit die höchste Botschaft von Mohammad ist, und ob die Gründung einer gesellschaftlichen Rechtsordnung sein Endziel ist? Ungeachtet der besonderen Bedeutung, die der Prophet des Islam der Gerechtigkeit und Berücksichtigung der Rechte beimaß, muss man aber mit aller Deutlichkeit sagen, dass die Erziehung eines gerechten Menschen und die Gründung einer gerechten Gesellschaft, in der das Recht berücksichtigt wird und die Menschen gerecht miteinander umgehen, und jeder dem anderen gegenüber das gleiche Recht hat, nicht das Endziel von Mohammad war. Er selbst hat in aller Deutlichkeit sein Endziel so erläutert: „Ich bin von Gott entsandt worden, damit ich die Moral vervollkommne.“

Folglich sind der gerechte Mensch und die gerechte Gesellschaft nicht das letzte Ideal des Propheten des Islam, sondern sein Endziel war die Erziehung eines moralischen Menschen und einer moralischen Gesellschaft.

Das Verhältnis und der Unterschied zwischen Recht und Moral ist ein umfassendes Thema, aber zumindest einige Unterschiede zwischen diesen beiden Begriffen sollen in aller Kürze erwähnt werden. Die Kontrolle der Gier des Individuums und das Verhindern von Ungerechtigkeit und Missachtung der Rechte der anderen in der Gesellschaft sind das höchste Ziel der Gerechtigkeit und einer Rechtsordnung. Mit der Verwirklichung dieses Zieles können diejenigen, die nach Gerechtigkeit streben und Anhänger der Menschenrechte sind, ihre höchsten Ideale erreichen.

Für die Verwirklichung dieses Zieles muss zwischen den Menschen nicht notwendigerweise Freundlichkeit und Liebe herrschen, sondern man kann von den Menschen verlangen, dass sie die Gesetze und Prinzipien die ihre Rechte schützen, wahrnehmen und als verbindlich ansehen, auch wenn die Beziehung zwischen ihnen selbst eher kühl und teilnahmslos ist. Ein gerechter Mensch muss nicht unbedingt ein freundliches Gesicht und einen freundlichen Umgang haben. Das Recht und die Gerechtigkeit verlangen jedoch, dass ein Bürger dem Gesetz und den Prinzipien treu ergeben und letztlich ein gerechter Mensch ist. Aber es wird diesem Bürger nicht befohlen, wenn er in seiner Nachbarschaft oder in der Straße, in der er lebt, oder auch außerhalb des Landes, in einem anderen Teil der Welt, einem bedürftigen Mensch begegnet, diesem zu helfen und ihn zu unterstützen.

Der gerechte Mensch erwartet, dass ihm sein Recht in der vereinbarten Zeit zugestanden wird, und wenn das nicht der Fall ist, sieht er sich berechtigt, den anderen anzuklagen und ihn verurteilen zu lassen, auch wenn er damit den Frieden dieser Familie stört, ohne dass er es zuvor als notwendig ansieht, zu überprüfen, ob der andere die Möglichkeit hat oder nicht, ihm sein Recht zuzugestehen,. Gerechtigkeit und Recht gebieten in einem solchen Falle nur, dass die Zahlung das Recht des Anspruchstellers und die Pflicht des Schuldners ist, auch wenn Kläger und Schuldner Vater und Sohn sein sollten. Wenn aber der Kläger seinen Möglichkeiten entsprechend die Probleme und Unfähigkeit des Schuldners zur Zahlung berücksichtigt, auch wenn der Kläger ein vermögender und der Schuldner ein armer Mensch ist, und er als Kläger auf sein Recht verzichtet, dann ist das dennoch kein Element, das vom Recht und dem Gerechtigkeitsprinzip geboten wird.

Die Moralität hingegen berücksichtigt vor allem die Aspekte, die auf Recht und Gerechtigkeit ausgerichtet sind, und wird das Recht und die Gerechtigkeit niemals verneinen. Die Moralität lehrt, dass es sehr angesehen und wertvoll ist, die Rechte der anderen zu berücksichtigen und seine eigenen Rechte einzufordern, dass es aber noch schöner und angesehener ist, wenn man zum Vorteil der anderen darauf verzichtet. Folglich sind Verzeihen und Freigebigkeit moralische und keine rechtlichen Prinzipien.

Die Gerechtigkeit basiert auf der Berücksichtigung der Rechte der anderen. Ein gerechter Mensch wird das Recht der anderen nicht missachten und ungerecht werden, und er wird den anderen nicht mehr zugestehen, als es deren Recht entspricht. Aber die Moralität basiert auf Liebe, Freundlichkeit und Freundschaft gegenüber den anderen und nimmt folglich Einfluss auf das Einfordern von Rechten. Das Recht sagt, dass man die Möglichkeit hat, unter Berücksichtigung von Achtung und Höflichkeit sein Recht einzufordern. Aber die Moralität sagt: Wenn man sein Recht einfordert, soll man nicht nur die Achtung und Höflichkeit wahren, sondern darüber hinaus auch die psychische und physische Situation des anderen berücksichtigen. Deshalb ist jeder moralische Mensch zugleich auch ein gerechter und dem Recht verpflichteter Mensch. Aber umgekehrt muss nicht jeder gerechte und dem Recht verpflichtete Mensch auch ein moralischer Mensch sein. So gesehen wird die Ethik das Recht nicht nur nicht verneinen, sondern den Menschen vielmehr bereichern und auf eine höhere Ebene führen. Vielleicht ist es zutreffender, wenn wir sagen, dass Gerechtigkeit und Ethik auf Recht basieren.

Aber das Recht, das die Moralität betont, geht über das Recht, das die Gerechtigkeit betont, hinaus. Der moralische Mensch beweist mit dem Blick der Liebe und Freundlichkeit den anderen ein ungeschriebenes Recht, das im Buch des Gesetzes und der Gerechtigkeit selbst nicht unbedingt berücksichtigt werden muss. Die Freigebigkeit der Mutter gegenüber ihrem Kind resultiert nicht aus einer rechtlichen Pflicht, sondern weil die Mutter ihr Kind liebt, wird sie diese Freigebigkeit für sich als notwendig ansehen und sich verpflichtet fühlen, dem Kind gegenüber freigiebig zu sein. Wenn sich diese Sichtweise allgemein unter den Menschen verbreitet, werden die Menschen einfach und problemlos auf ihr Recht verzichten, und das ist die eigentliche und wesentliche Botschaft Mohammads für die Menschheit. Mohammad sagt, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, egal welche Glaubensrichtung, Farbe und Rasse sie haben, und dass jede Ungerechtigkeit zwischen den Menschen verurteilt wird. In einer schönen und genauen Erklärung und Interpretation hat er diese Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz mit einem Kamm verglichen, der gleiche Zähne hat. Auch im Qur’an wird oft betont, dass die Menschen von einem wertvollen Wesen erschaffen wurden und kein Mensch aufgrund seiner Rasse, Farbe, Sprache oder Nationalität mehr Rechte und Vorteile gegenüber den anderen genießt (vgl. Sure an-Nisa’, Vers 1, Sure az-Zumar, Vers 6 oder Sure al-Hujurat, Vers 13). Mohammad hat jegliche Art von Rassismus negiert und gleiche Rechte für alle Menschen jeder Rasse, Sprache und Religion betont:

„O Leute, ihr sollt wissen, dass Gott einer ist, und dass euer Vater einer ist. Deshalb soll euch bewusst sein, dass keine Rasse gegenüber einer anderen Rasse, kein Araber gegenüber einem Nichtaraber, kein Nichtaraber gegenüber einem Araber, kein Schwarzer gegenüber einem Weißen und kein Weißer gegenüber einem Schwarzen einen Vorzug hat.“

Der Qur’an erwähnt, dass die Menschen aus einer einzigen Substanz geschaffen wurden, und das beweist nicht nur die Gleichheit der Menschen und ihren Anspruch auf die gleichen Rechte, sondern darüber hinaus wird damit auch das Gefühl der Gemeinsamkeit und des Verständnisses zwischen den Menschen erwähnt. Dieses Gefühl der Gemeinsamkeit und Freundschaft ist ursächlich für die Freundlichkeit und Liebe der Menschen zueinander. Mohammad hat dieses Gefühl der Gemeinsamkeit in einem klaren Bild verdeutlicht, wonach die Menschen wie die Glieder eines Körpers sind, der leidet, wenn eines seiner Glieder Schmerzen hat.

Deshalb ist in der Logik von Mohammad die Beachtung des Rechts und der Gerechtigkeit in den Beziehungen der Menschen zueinander nicht das Ende dieses Weges, sondern Recht und Gerechtigkeit bilden die Brücke, über die man zu der Gesellschaft gelangt, in der es keine Feindschaft und Gewalt gibt, sondern wo Liebe und Freundlichkeit herrschen.

Die moralische Gesellschaft, in der die Beziehung zwischen den Menschen nicht auf starren Pflichten und offiziellen Rechten, sondern auf Freundlichkeit und Nächstenliebe basiert, ist eine Gesellschaft, in der die Menschen das Erreichen von mehr Vorteilen nicht als ein Zeichen des Erfolges ansehen, sondern die Hilfe für die anderen, der Verzicht auf eigene Rechte und das Engagement für einen größeren Nutzen für die anderen als Zeichen des Erfolges und der Glückseligkeit gelten. Mohammad hat sehr viel von Frieden gesprochen, und der Qur’an sagt mit aller Deutlichkeit, dass Frieden besser ist als jede andere Sache. Das ist eine besondere Beschreibung im Qur’an, der sich über kein anderes Thema so deutlich geäußert hat. Man muss wissen, dass ein Frieden, von dem der Qur’an spricht und den der Prophet des Islam als großer moralische Lehrer seine Anhänger lehrt, mehr Bedeutung impliziert als Frieden im rechtlichen Sinne. Frieden im rechtlichen Sinne steht Krieg und Feindschaft gegenüber; ein solcher Frieden, der auf die beste und vollkommenste Weise verwirklicht wird, dient der Bewahrung von Gerechtigkeit, d. h. er spricht beiden Parteien ihr gesetzliches Recht zu. Deshalb wird der Friede mit dieser Bedeutung niemals über die Gerechtigkeit gestellt.

Aber der moralische Frieden, d. h. Freigebigkeit und Verzicht auf das eigene Recht zum Vorteil der anderen, geht weit über den rechtlichen Frieden hinaus. Moralischer Frieden ist ein freigiebiger Frieden, aber der rechtliche Frieden ist ein gerechter Frieden, und der Qur’an lädt die Menschen im Bereich der individuellen Rechte zu einem moralischen Frieden ein. Abschließend gesagt ist die Ergänzung, Vorstellung, Lehre und Verbreitung von schönen moralischen Werten und Eigenschaften zwischen den Menschen das wichtigste Ziel und die wichtigste Aufgabe von Mohammad gewesen.

Eine wichtige Anmerkung

Die heiligen islamischen Quellen (Qur’an und Sunna) sind interpretierbar; bei vielen qur’anischen Versen kann man die äußere Bedeutung nicht als Maßstab und Grundlage heranziehen. Der Qur’an selbst betont diesen klaren Punkt und unterteilt seine Verse in zwei Kategorien: Erstens Verse, deren Bedeutung vollkommen klar und deutlich ist (ÁyÁte mohkam - eindeutige Verse), und zweitens Verse, deren Bedeutung nicht vollkommen klar ist und die interpretiert werden müssen (ÁyÁte mutashabih – mehrdeutige Verse). Dem Qur’an zufolge sind die eindeutigen Verse die Wurzel und wesentliche Grundlage des Heiligen Buches, die man für die Interpretation der mehrdeutigen Verse zu Hilfe nehmen muss. Bei der Interpretation eines jeden Qur’anverses muss der gesamte Qur’an, und nicht nur ein Teil davon, berücksichtigt werden. Der Qur’an stellt fest: „Er ist Gott, der das Buch (Qur’an) auf dich (Mohammad) herabgesandt hat. Ein Teil dieses Buches sind die eindeutigen Verse (mit einer klaren und deutlichen Bedeutung), und diese Verse sind die Mutter (Wurzel) dieses Buches (Qur’an) dar. Und ein Teil dieses Buches sind mehrdeutige Verse, (die der Interpretation bedürfen). Diejenigen, in deren Herzen Abweichungen und Krankheiten vorhanden sind, benutzten die mehrdeutigen Verse, um Zwietracht zu verursachen, und sie wollen die Verse aus sich selbst heraus interpretieren,  obwohl niemand die Interpretation dieses Buches kennt, außer Gott und denjenigen, die ein tiefes Wissen über alle Qur’anverse haben. (Qur’an, Sure Ale-Imran, Vers 7).

Wir sind darum bemüht, die Qur’anverse mittels der vom Qur’an selbst erklärten Methode zu interpretieren, und nicht nach persönlichem Interesse zur Rechtfertigung von Tradition, Kultur oder einer persönlichen Überzeugung, damit wir wissen, was der Qur’an sagt. Was Sie nun in Händen haben, ist eine Bemühung in dieser Hinsicht.