Im Namen Gottes

Meinungsfreiheit contra Menschenwürde?

Ein altes Szenario wird neu aufgelegt: es wird Hass erzeugt, Diffamierungen verbreitet, Gefühlsausbrüche provoziert und Zorn ausgelöst.

In einer Zeit, wo unsere Weltgemeinschaft mehr denn je ein Leben in Verständigung und Frieden braucht, und es ohnehin genug Anlässe gibt, durch geistige Brandstiftung Aggression und Feindschaft zu erzeugen, kann kein Mensch leugnen, dass die Wiederholung solcher Szenarien , deren  bittere Ergebnisse wir wiederholt beobachtet haben, einem großen Verrat an der Menschheit und Weltfrieden gleichkommt. Wer könnte daran glauben, dass die Initiatoren und Akteure dieses Szenarios nicht bewußt die Absicht hatten, Gefühle zu verletzen, Hass zu erzeugen und Aggressionen hervorzurufen?

Man kann zweifelslos Glaubensinhalte und Überzeugungen von Menschen kritisieren. Niemand ist von Kritik ausgenommen. Aber Gefühle und Überzeugungen von Menschen, unabhängig von ihren Ursprüngen, sind Teil des menschlichen Wesens  und gehören zur menschlichen Natur. Wir können die menschlichen Überzeugungen und Glaubenssätze schonungslos kritisieren und deren Richtigkeit radikal in Frage stellen und sogar leugnen. Wir können aber nicht die Gefühle und Emotionen, welche aus diesen Überzeugungen resultieren, diffamieren und verletzen. Ein solcher Schritt ist eine Untergrabung der Menschenwürde sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit.

Die Menschenrechtsprinzipien  und die darauf basierenden Gesetze in demokratischen Gesellschaften beinhalten ausreichende Kapazitäten zum Schutz der Menschenwürde und der Glaubens- und  Gewissensfreiheit. Es fragt sich, warum diese Kapazitäten trotzdem die Wiederholung solcher Vorkommnisse nicht verhindern, die immer wieder irreparable Schäden hinterlassen?  Warum wird den Diffamierten und Verletzten, die ihre Würde und Gewissensfreiheit gefährdet sehen, nicht die Sicherheit gegeben, dass das Gesetz auch ihre Interessen und Menschenrechte schützt? Nur so könnten Extremisten und Befürworter von Aggression und Gewalt daran gehindert werden, neue Anlässe für ihre Aktionen zu finden.

Ich möchte an dieser Stelle meine islamischen Schwestern und Brüder an einen wichtigen Punkt erinnern:

Selbstverständlich darf jeder gegen Diffamierungen  und Verunglimpfungen protestieren. Dies ist sogar eine menschliche und religiöse Pflicht. Dieses Recht darf aber nicht mit den Mitteln des Unrechts ausgeübt werden und die religiöse Pflicht kann nicht mit Sünde vermengt werden. Gewalttätigkeit, Beleidigung und Gefährdung von Menschen, sowie der Einsatz von illegalen Mitteln zum Schutz eigener Rechte sind wiederum selbst illegal und unrechtmäßig. Solche unrechtmäßigen Aktionen widersprechen dem Stil eines Propheten, dessen größtes  Anliegen die Realisierung von Gnade und Liebe unter den Menschen ist.

Der Prophet des Islam wurde oft in direkter und schlimmster Form von seinen Gegnern angegriffen und verunglimpft. Obwohl er in Medina über Macht und Einfluß verfügte, erwiderte er diesen Feindseligkeiten nur mit Toleranz und menschlicher Gnade und brachte damit seine Feinde in Verlegenheit.

Der Koran lehrt uns unmissverständlich, dass wir das Gute nie mit Hilfe von schlechten Taten erreichen dürfen. Das „Schlechte“ kann nicht mit etwas „Schlechtem“ beseitigt werden. Nur mit Wiederholung von guten Taten kann das Schlechte besiegt werden.

Gewaltaktionen und Gefährdung von Menschen und Sachen stehen zweifelslos im Widerspruch mit der koranischen und prophetischen Lehre und gehören ohne Ausnahme zu den religiösen Verboten. Die Missachtung dieses  Verbotes  ist um ein vielfaches schlimmer und verletzt die Seele des Propheten, wenn solche Aktionen im Namen des Islam und Koran erfolgen.

Jede Gewalttat und jede Hass erzeugende Aktion kann nur dem Szenario der Hasserzeuger dienen, so dass sie ihrem unmenschlichen Ziel, d.h. der Ausweitung von Hass und Gewalt näher kommen.

Extremistische Positionen können (unabhängig von ihrer Ausgangslage) zwar äußerlich einander gegenüberstehen, in Wirklichkeit übernimmt jede Seite die Rolle, das Projekt der Gewalt zu fördern. Gewalt ist ein Projekt im Sinne der Bejahung von Aggression und Feindschaft zwischen Menschen; Gewalt beschleunigt die Ablehnung von Frieden, Vernunft und Mäßigkeit.

Zum Schluss hoffe ich, dass die Intellektuellen, Demokraten und die Elite aller religiösen Gemeinschaften sowie alle denkenden und Frieden liebenden Menschen sich für Aufklärung und Förderung der Menschenrechte auch im Bereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit einsetzen und die Juristen und Politiker diese Freiheiten verstärkt  in der Gesellschaft mit Wort und Tat realisieren. Hierdurch kann  die Grenze zwischen Meinungs- und Kritikfreiheit einerseits und der individuellen Menschenrechte andererseits klarer gezogen werden,  damit  nicht wieder die Freiheit dazu missbraucht wird, die Würde von Menschen zu verletzen.

Diese Bemühungen sollen erreichen, dass wir nicht wieder Zeugen von Handlungen werden, die die Gewalt fördern und den Weltfrieden gefährden.


Hamburg, den 17.09.2012 

Ayatollah Hosseini Ghaemmaghami

Vorsitzender des Instituts für rational-islamische Rechtsfindung und Friedenstheologie (IFRIR)

Vorsitzender der "Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten und Theologen" ( IEUS )